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Die Postmoderne und einige ihrer Kritiker

Anhang zur „Wiederaufnahme der Geschichte“ (Das Grosse Thier I)

Jörg Finkenberger

1 Was bedeutet es eigentlich für den Begriff der Geschichte, wenn in der sog. Gegenwartsfilosofie offensichtlich Begriffe möglich sind wie die Begriffe Agambens, in denen ungeschieden Carl Schmitts Ausnahmezustand und Walter Benjamins „wirklicher Ausnahmezustand“ aufgehen können, ohne dass eine zerstörende Spannung dazwischen stattfindet? Und was bedeutet es für einen Begriff von Wahrheit?

Man könnte die Frage auch anders stellen: wie kommt jemand wie Deleuze dazu, denjenigen, die den Mai 1968 nicht vergessen können, als Perspektive tatsächlich seine „nomadische Kriegsmaschine“ anzubieten, mit der er ausgerechnet auf Carl Schmitts „Theorie des Partisanen“ zurückgreift? Was ist bei einem solchen Denken schiefgegangen, dass es von den offensichtlich bestehenden Unterschieden zwischen dem einen und dem anderen so völlig absieht, und auf diese Weise seinen Beitrag dazu leistet, dass die Unterschiede wirklich verschwinden? Und warum scheint sich niemand besonders daran zu stören?

2 Es zeigt sich in der ganzen Richtung, die wir die postmoderne nennen, ein eigenartig gelockertes Verhältnis zum Gegenstand des Denkens. Der Gegenstand tendiert ihnen dazu, in Zeichen, Diskurse, kurz in gedachte Dinge aufgelöst zu werden, d.h. er hört tatsächlich auf, ein Gegenstand zu sein, der unabhängig vom Denken existiert.

Deleuze etwa schreibt „Über die Bedingungen der Frage: Was ist Filosofie?“ Sätze wie: „Philosophie ist die Kunst, Begriffe zu bilden, zu erfinden und zu erzeugen.“ Dass diesen Begriffen eine Wirklichkeit auch zukommen muss, dass etwas ihnen entsprechen muss, ist nicht entscheidend. Ein Verhältnis von Sache und Begriff findet nicht statt. Der Gegenstand wird nur noch als zufällige Gelegenheit zum Denken vorgestellt, nicht als ein böses Rätsel, das zu lösen wäre. Mit der Gegnerschaft zum immer widersinnigen Gegenstand verschwindet aber die Vernunft als sein Gegner; das Programm, den cartesianischen Dualismus zu überwinden, ist hinterrücks tatsächlich eingelöst, indem das erkennende Subjekt und der Gegenstand aneinander zerschellen.

3 Dass es oberflächlich ganz im Gegenteil so erscheint, und das macht die Attraktion dieser Filosofie zum Teil aus, als wäre in dieser das Denken befreit von der Last eines umfassenden Systems und könne sich ganz auf die Einzeldinge einlassen, das ist die absurde Pointe dabei. Die postmoderne Filosofie endet nur scheinbar in nichts als fröhlicher Wissenschaft; ihre Begriffe sind keineswegs so völlig konkret, wie sie aussehen, ihre Konkretion ist in Wahrheit erschlichen, und die Begriffe von eine Willkür, ja Monstrosität, die schon für sich selbst erstaunlich wäre: als wäre das die Rache des widersinnigen Gegenstands, dem das Denken beim Versuch, sich ihm zu entziehen, verfällt. – Diese Filosofie hat sich im innersten vom Anspruch, ein System zu bilden, nie losgemacht; sie tut nur, als hätte sie; und betrügt noch dadurch den Gegenstand. Aus dem System, zu dem sie unter der Hand doch wird, ist aber alles geflohen, was für die Systemfilosofie einmal gesprochen hatte, nämlich der Anspruch auf Wahrheit, und die Vernunft. Dass dieser Verlust einfach hingenommen, zuweilen offen zum Programm erklärt wird, macht das lügenhafte dieser Filosofie aus: die zwar, und ganz parteiisch, die repressiven Gestehungsbedingungen der Vernunft genau aufzählt, aber über die keineswegs erfreulicheren Bedingungen, unter denen sie aus der Geschichte getrieben worden ist, schweigt.

5 Solch ein Denken hat eine verlockende Plausibilität in dieser Epoche, in der die Revolution kaum denkbar, und Vernunft wie Wahrheit abwesend sind. Denn die Partei, die zu ergreifen wäre, gibt es tatsächlich nicht mehr. Diese postmoderne Filosofie ist nach der einen Seite jener Epoche das ihr angemessene falsche Bewusstsein. Nach der anderen Seite ist es mehr als das, sie entfaltet nicht einfach eine spontane Denkform, sondern ist dieser fraglos voraus: den versteinerten Resten der leninistischen Linken gegenüber etwa sind Deleuze oder Agamben auf der Höhe der Zeit, i.e. nicht in anachronistischen Gefechten, denen die Realität längst entwichen ist, befangen. Als ihnen gegenüber fortgeschrittener wird man sie aber kaum bezeichnen wollen: sie ist nur energischer vom Elend dieses Zeitalters durchdrungen, und es ist genau jene fugenlose Aktualität, die das gewollte Vergessen anzeigt. – Die Macht von Ideologien wie der, für die Agamben steht, verhält sich zur Macht des Kommunismus umgekehrt proportional. Zwecklos, sie für etwas anderes zu halten als die immer aktuelle Filosofie der Konterrevolution, so wie unser Zeitalter das einer sich immer aktualisierenden Konterrevolution ist, eine never ending attack. – Jene Plausibilität anzugreifen, wäre nur möglich durch den Aufweis, dass den Begriffen des Kommunismus eine Realität zukommt, was aber mit Mitteln der Theorie kaum möglich ist; so wie jene Realität auch nicht mit Mitteln der Theorie versenkt worden ist.

6 Gegenwehr aber gab es keine, die der Erwähnung wert wäre. Man hat etwa Agamben seinen Betrug glatt durchgehen lassen, so als ob die Lüge wirklich wahr geworden wäre, und niemand versucht, den aneinandergeketteten Gegensätzen wieder Leben einzuhauchen, damit sie sich vielleicht aus ihrer Fessel befreien; wir haben zugesehen, wie unsere Filosofie gebunden dem Feind überliefert worden ist, weil wir keine Schande mehr kennen. Noch mehr: nachdem der Feind Benjamins Begriff des „wirklichen Ausnahmezustands“ einmal beschlagnahmt hatte, hat man sich herbeigelassen, diesen Akt zu ratifizieren. – Eine Kritik dieses Treibens findet nicht statt, nur ein so unwürdiges wie hilfloses stochern im Nebel, weil der Hauptpunkt verkannt wird. Und zuletzt befällt die Verblendung noch die, die beanspruchen, sie zu kritisieren.

7 Man fürchtet sich unter denen, die sich heute Ideologiekritiker nennen, vielleicht vor dem, was ich mit einer mathematischen Metafer Nullstellen des Begriffes nennen möchte; oder vielleicht SIngularitäten, oder Bifurkationen. Allgemein gesprochen, gibt es solche logischen Figuren, in denen zum Ausdruck kommt, dass die bestehende Logik der Dinge eben nicht nur aus einer erzwungenem Zusammenhang der Dinge, sondern auch aus freier menschlicher Tat herkommt, die aber allemal mit der Notwendigkeit verkettet erscheint. Dieser Widerspruch kann sich freilich nicht anders geltend machen, als indem der Gang der Dinge krisenhaft wird, welche Krisen jene Tat provozieren. Die Kategorie der freien menschlichen Tat ist dabei nicht von vorneherein bestimmt, sonder selber für sich irreduzibel. Das sollte eigentlich niemanden Wunders nehmen. – Dass der Lauf der Dinge Momente der Entscheidung kennt, ist ein Ausdruck davon, dass er immer noch und unaufhebbar durch menschliches Denken vermittelt ist, und dadurch von Menschen, wenn sie nur den Willen dazu haben, auch durchschaubar und veränderbar. (1)

Man tut der Kritik einen schlechten Dienst, wenn man zur Sicherheit die Nullstellen aus dem Denken, als zu gefährlich und irrational, eliminiert, und im übrigen Agitation gegen das entfaltet, was im Ruf steht, aufregend oder gefahrvoll oder unauslotbar zu sein. Nichts dergleichen ist irgendjemandem ohnehin jemals begegnet. Die Agitation gegen eine vermeinte „Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand“ als Parole oder Überschrift für die gegenwärtig anstehende Auseinandersetzung zu nehmen, das ist nichts anderes anderes als ein Geständnis, dass man dem eigenen Denken misstraut und seiner Fähigkeit, richtig und falsch, oder wahr und falsch, überhaupt noch unterscheiden zu können. Man wende mir nicht ein, man misstraue doch lediglich dem Denken aller anderen; unsere Aufgabe ist nicht die Agitation, nicht die Intervention, sondern die Kritik, und das ist zuvörderst der Aufweis, dass überhaupt noch vernünftig gedacht werden kann; das ist die Voraussetzung jeder Kritik; von diesem Aufweis hängt alles ab, und er ist das einzige, was die Kritik tun kann, von dem überhaupt irgendetwas abhängt. Und die mehrheitliche antideutsch-kommunistische bzw. „ideologiekritische“ Praxis seit 2009 ein Misstrauensvotum gegen die Vernunft; auch gegen die eigene, denn es gibt nur eine.

8 Das, was als Ergebnisse der Konferenz über die „Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand“ 2009 gelten muss, sieht heute, 2 Jahre später, wie die verhängnisvollste Idiotie aus, die die antideutsch-kommunistische Strömung jemals vollbracht hat. Wir können dieses Konzil unmöglich anerkennen. Seine Tragweite ist so ungeheuerlich, dass man es als Ausdruck einer wirklichen Spaltung nehmen muss.(2) Letzten Endes läuft, was von diesem Konzil herkommt, darauf hinaus, sich der Postmodernen auf Gnade und Ungnade ergeben. Zu einer solchen Kapitulation sind wir aber nicht befugt.

Als ob man keine Mittel an der Hand hätte, um den Ausnahmezustand, von dem Benjamin spricht, unterscheiden zu können von dem, von welchem Schmitt spricht. Als gäbe es genau alle diejenigen materiellen Kategorien nicht, an denen man sich doch so hartnäckig abarbeitet. Als folge aus alle dem nichts, als wären sie nicht die einzigen Kategorien, auf die man sich immer verlassen dürfte. Als wäre der logische Punkt, von dem aus solche Unterscheidungen noch gemacht werden können, nicht mehr in der Welt. Er ist aber in der Welt. Dass wir es auch nur denken können, beweist alles. Und das begründet für die, die denken, eine Verpflichtung, die man nicht straflos hintergehen kann. – Als ob also, in einem Satz, die Postmodernen recht hätten.

Indem man dem Feind den „wirklichen Ausnahmezustand“ überlässt, übergibt man sich schon vorweg seiner Entscheidung, liquidiert die Kritik im Angesicht der Krise, und kapituliert vor einem Geschehen, das im Rückblick so aussehen wird, als hätte die antideutsch-kommunistische Kritik an den Ereignissen des Jahres 2011 ihren Schiffbruch erlitten, und ihre Wahrheit gefunden. Man setzt damit das begriffslose Unwesen als legitimen Statthalter ein. Das ist empörend, aber wir sehen heute, dass der ganze Unsinn wie mit unwiderstehlicher Gewalt darauf schon lange zudrängte, und wir haben geschwiegen; diesen furchtbaren Fehler müssen wir jetzt einsehen; wir haben das alles ja geschehen lassen, und jetzt ist es zu spät, besonders rücksichtsvoll zu sein.

Anmerkungen

1 Und dieser Wille ist selbst irreduzibel, nicht ableitbar, ein freier Entschluss; eine creatio ex nihilo; ein Akt des Ausnahmezustands. Schon der Entschluss, statt des Mitmachens lieber kommunistische Kritik zu betreiben. Schon der Gedanke, jeder einzelne.

2 Es ist hierfür völlig irrelevant, was auf der Konferenz selbst gesprochen worden ist. Man muss schon sehr unbedarft sein, um das für den Hauptpunkt an einer antideutsch-kommunistischen Konferenz zu halten. Es sieht immer so aus, als ob Beschlüsse mit Bindungswirkung auf solchen Konferenzen nicht gefasst würden. Ergebnisse haben sie aber immer, sonst müsste man sie nicht einberufen. Sie ratifizieren Kursänderungen und Abspaltungen, genehmigen durch Akklamation vorläufig getroffene Entscheidungen der einflussreicheren Gruppen, demonstrieren Existenz und Kooperation der wichtigsten Fraktionen, die Hauptredner zeigen ihr bedeutsames Einverständnis mit alledem und den veranstaltenden Gruppen durch ihre blosse Teilnahme, und für das Fussvolk werden die neuen Parolen und Argumente ausgegeben, zu deren Gebrauch es sich für die Dauer der nächsten Periode ermächtigt fühlen darf. Die Vorträge sind meist nicht besonders originell, die Gemeinde reist ohnehin eher wie zum Familientreffen an, oder wie zu einem Festival. Man muss, wirklich, schon sehr naiv sein, um nicht zu sehen, dass hier sehr wohl Beschlüsse gefasst werden, die bindend sind; nur eben nicht verbatim, sondern concludenter, und wegen dieser Informalität erstens ganz und gar den Abmachungen der massgeblichen Gruppen anheimgestellt, sowie von allen Beteiligten jederzeit rundweg abstreitbar. Sehr viele gute Gründe also für ein Ende des Kongresskommunismus, übrigens: an so etwas nimmt man nicht teil. „Die Partei gibt es nicht mehr“, heisst es lakonisch bei Horkheimer, und wer auch immer sich heute schon benimmt, als hätte er sie wiedergegründet, ist daran schuld.

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Steine statt Brot

Die wirkliche Krise der Ideologie-Kritik

Jörg Finkenberger

Unter denjenigen ehemaligen antideutschen Kommunisten, die das seit 2009 nicht mehr sein wollen, sondern nur noch „ideologiekritisch“, geht die Rede von einer Krise der Ideologiekritik um; und man will gar nicht einmal widersprechen; aber was für ein bemerkenswertes Unglück, das sie befallen hat, dass ihnen in nicht 2 Jahren wie Staub durch die Finger rieselt, was doch so selbstsicher begonnen worden ist! Was für ein absurdes Unglück, noch dazu! Wenn man nicht soviel Pietät hätte, möchte man über diese unsinnige Fügung sogar misstrauisch werden und den Verdacht schöpfen, es ginge in Wirklichkeit um etwas anderes: denn warum sollte die Menschheit heute für Vernunft noch weniger zu erreichen sein als, sagen wir, 2003?

1 Ideologiekritik ist, was auch immer sie sonst ist, Arbeit; mühsame Disziplin; man kann sich nicht einen Ideologiekritiker nennen, wie man sich einen antideutschen Kommunisten nennen kann. Antideutscher Kommunist kann jeder Depp sein, und es gibt Gegenden, da ist es auch jeder Depp; man braucht dazu auch nur Gesinnung, und nicht so sehr Verstand. Gesinnung war aber hierzulande immer reichlich vorhanden, vor allem bei der Opposition, und wenn irgendjemand dazu beigetragen hat, Heinrich Heines Spott über die deutsche Linke (kein Verstand, dafür Gesinnung) gleichmässig aktuell zu halten, dann waren es diese Deppen, und die, die sie bedient haben. Es ist also gleich zweimal absurd, dass welche, die selbst den Kurzschluss von der womöglich billigenswerten Absicht zur indiskutablen Ausführung als Standardfigur etabliert haben, sich dann gerade von dem abwenden, was sie am besten, oder als einziges können. Man tat also allgemein Recht damit, die selbstsichere Durchsage der Bahamas-Redaktion auf der Ausnahmezustand-Konferenz 2009 mit genervt rollenden Augen zur Kenntnis zu nehmen: das sind tatsächlich genau die gewesen, die solche grossen Töne nötig haben. Ein paar der Höhepunkte ihres seitherigen Schaffens haben wir im letzten Heft schon kommentiert, genervt sind wir immer noch, und wozu dieses Heft noch gut sein soll, hat uns seither auch keiner erklären können. – Aber wir machen ja selber eins, das zu nichts nütze sein wird.

2 Vielleicht muss man noch einen Schritt weiter gehen und allgemein Misstrauen haben, wo man nur noch Ideologiekritik betreiben will. Es ist nämlich ein Risiko in diesem Begriff angelegt, das sich verwirklichen wird, sobald man es vergisst. Die landläufige Fassung einer antideutschen Carl-Schmitt-Kritik funktioniert z.B. so, dass man Schmitts Aussagen über Staat und Recht auf eine Weise behandelt, als hätte er sich die Problematik, an der seine Argumentation ansetzt, einfach selbst ausgedacht, aus einer Art faschistischer Tücke. Die Kritik endet dann regelmässig damit, ihm angestrengt seine Gesinnung aus diesen Ausführungen nachzuweisen. Als ob man Schmitt eigens seine Gesinnung noch nachweisen müsste! Aber die Aufgabe wäre eine ganz andere gewesen, und was man damit betreibt, sieht nicht zufällig aus wie das, was die Postmodernen Diskursanalyse nennen, sondern ist das auch: man redet über Schmitts Lehre so, als ob er den Gegenstand, den Staat und den Souverän, durch seine Lehre erst konstituiere, und nicht, als ob sie schon längst terribile realtá wären. – Solche eine Kritik ist schlimmer als nutzlos. Sie gewöhnt die Gehirne selbst derer, die gegen so etwas einmal aufgestanden waren, langsam daran, zu denken, als ob es den Gegenstand gar nicht gäbe; solch eine Kritik ist selbst das, was man einen Diskurs nennen muss; niemand auf unserer Seite hat irgendeinen Grund, über die Postmodernen zu spotten, solange im eigenen Haus so etwas möglich ist. Der Verzicht auf den Gegenstand geschieht dabei gar nicht aus bösem Willen, sondern aus schlichter Unfähigkeit; das macht es aber nicht besser. Ich nehme von dieser Kritik ausdrücklich nicht das Buch „Gegenaufklärung“ aus dem sonst unverzichtbaren ca ira-Verlag aus; im Gegenteil ist es eine der schönsten Quellen von Belegen für das, was ich meine.(1)

3 Es ist mit der Halb-Bildung in antideutschen Kreisen so weit gekommen, dass sogar solche, die zu besserem fähig wären, es sich damit genügen lassen, einen Gegenstand, den sie dem gängigen Kritik-Ersatz unterwerfen, irgendwie mit Heidegger, Nietzsche, Schmitt oder einem anderen bekannten Gegenaufklärer äusserlich in Verbindung bringen; freie Assoziation genügt; die Beispiele der sonst oft hervorragenden Machunsky und Klaue wurden im letzten Heft schon angeführt, zwei Beispiele, an denen man (Bahamas 1/2011) ablesen kann, mit was für einem verstörendem Mangel an Fingerfertigkeit und Eleganz solche hilflosen Versuche einhergehen müssen; zweimal Totalschaden, und am empörendsten: zweimal denen, die das Heft ratsuchend aufschlagen, Steine statt Brot gegeben. Dass es die Leserschaft gar nicht stört, macht es nicht besser, im Gegenteil: dass die Leserschaft nicht in der Lage ist, den Mangel überhaupt zu bemerken, ist ganz und gar entsetzlich. – Das Stichwort ist zum Ersatz für das Begreifen geworden, die Gedanken zu talking points heruntergebracht, und wo es kein Skandal mehr ist, dass es Kritik sein soll, in den kritisierten Text heideggerische Vokabeln hineinzumanipulieren, da ist es eine Dreistigkeit, von einer Krise der Ideologiekritik zu reden: diese Art von Ideologiekritik ist Krise genug.

4 Damit sind wir etwa beim erfreulichen Thema Heidegger. Es gilt ja als ungemein wichtig, sich mit Heidegger auseinanderzusetzen, und es werden nahezu ständig Texte dazu verfasst. Könnte der nächste, der einen schreibt, bitte auch ein paar Worte dazu verlieren, warum das so wichtig ist? Wenn man das nicht weiss, kommt es einem nämlich vor wie eine Obsession, oder eine Mode. Es ist aber tatsächlich notwendig, nur fragt man sich, ob die meisten, die schreiben, überhaupt wissen, warum. Man soll auch bitte aufhören, mit dem wissenden Hinweis um sich zu werfen, Schmitt und Heidegger und der Poststrukturalismus gehörten zusammen; wenn und soweit das so ist, ist es Aufgabe der Kritik, das zu zeigen, und nicht, es als allgemein bekannt vorauszusetzen. Es ist gar nichts allgemein bekannt, am wenigsten in dem Haufen verschissener Bauern, den man bis vor etwas mehr als 2 Jahren als die antideutsche Szene kannte.

5 Im Grunde ist die ganze Strömung (vielleicht mit Ausnahme Gerhart Scheits, der ganze Gebiete als erster kartiert hat) nie über das hinausgekommen, was vor Zeiten schon vom ISF Freiburg gedacht und geschrieben worden ist; und das war ja gut und verdienstvoll, nur weit davon entfernt, schon so fertig zu sein, wie die Szene heute tut; es hat sich über die Zeit eine Legende verfestigt, als gäbe es bereits eine mehr oder minder ausgearbeitete Heidegger- oder Poststrukturalismus-Kritik, auf die man nur einfach zurückgreifen müsse; es gibt aber tatsächlich keine, sondern nur einzelne Gedanken; das verdienstvollste zu dem Thema ist wohl eine kleine Schrift von Manfred Dahlmann von immerhin 1983, und bis vor ganz kurzem war das wirklich alles, was es gegeben hat. Das ist ja auch schön und gut, und vielleicht wäre das für das erste auch genug, aber wenn es von einer ganzen Strömung als Vorwand genommen wird dafür, grosszügig darauf zu verweisen und sich ansonsten die Miene zu geben, als sei die Arbeit schon gemacht, dann ist das zu wenig, und einer solche Strömung darf man keinen Augenblick der Selbstzufriedenheit und der Resignation gönnen. Wo alle immer so genau zu wissen scheinen, wovon sie reden, wenn sie einen missliebigen Autor genügend damit gezeichnet zu haben meinen, dass sie ihn seine Sätze „raunen“ lassen, da verwandelt sich das eigene Nichtwissen zu leicht in ein Argument, statt in eine Grund dafür, dem Nichtwissen abzuhelfen. Ein Ausgang aus der selbstverschuldeten Unfähigkeit schiene mir aber, wofern er gefunden würde, das erste Mittel gegen die vermeinte Krise der Ideologiekritik zu sein.

6 Es könnte sogar scheinen, als wäre unter den meisten, die sich einmal antideutsche Kommunisten nannten, der Begriff der Kritik abhandengekommen. Vielleicht ist er auch nie begriffen worden. Man fragt sich, wozu so lange Adorno gelesen worden ist. Und vielleicht ist das auch einen Gedanken wert: mit welchem Recht glaubt man eigentlich an die Aufklärung, wenn sie an ihren enthusiastischsten Proponenten so sehr versagt hat. – Carl Schmitt etwa drückt doch dem, der ihn liest, die Kategorien einer Kritik geradezu in die Hand; dieser Mann hat sich unfassbar manisch daran abgearbeitet, wie der kommunistischen Revolution Einhalt zu gebieten wäre; er sagt alles, was man über ihn wissen muss, klar und deutlich; aber trotzdem weigert man sich standhaft, ihn beim Wort zu nehmen; irgendetwas anderes muss dahinter stecken, mindestens Heidegger: und so sucht der Kritiker lieber Zuflucht in den Nebelregionen einer Heideggerkritik, um die Sätze Carl Schmitts zu beleuchten, anstatt diesen von der Flanke seines Materials her zu umgehen, was ganz einfach wäre. Seltsame Mathematik, ein prinzipiell lösbares Problem auf ein ungelöstes zurückzuführen! Aber wie bang muss es unserem Kritiker sein, wie sehr muss er seinen eigenen Gedanken misstrauen. Statt etwa den Schmitt mit dem Fehlschlagen der Revolution in Verhältnis zu setzen, wird er von der Revolution, dem Staat, der Geschichte, im Ganzen vom Gegenstand selbst abstrahieren, auf der blinden Flucht vor genau den Kategorien, die ihm gegen Schmitt einzig, aber unfehlbar und ganz und gar zu Diensten wären. Was eine solche turpis fuga aber irgendwem nütze sein soll, das sage mir, wer es weiss.

7 Das alles ist gesetzt, sobald man sich mit Ideologiekritik bescheidet; man läuft Gefahr, im Gestrüpp von nichts als Literatur zu enden. – Mag man mir diese Metafer übrigens für anti-intellektualistisch erklären! Vielleicht hilft das denen, die sich kritisiert fühlen müssen, zu glauben, sie seien für eine Überschätzung von Intellekt kritisiert worden, statt, wie es wirklich ist, für einem Mangel. – Zuletzt ist wohl der gängige Begriff von Kritik so mangelhaft wie der von Ideologie; aber es mag sein, dass der Begriff der Kritik seinen Sinn wandelt, oder verliert, wenn er nicht mehr in Beziehung zum Anspruch steht, die Krise damit zu provozieren, und ich gebe zu, dass danach nicht mehr allen der Sinn stehen wird. Eine Entschuldigung für den ganzen Unsinn ist das aber schon lange nicht mehr.

8 Es gibt heute längst die Voraussetzungen für eine ganz andere Art der Kritik. Man muss nicht mehr so tun, als hätte man eine Heidegger-Kritik fertig in der Tasche, und könnte leicht jeden anderen Autor kritisieren, indem man eine Parallele zu Heidegger zieht. Eine vermeinte oder wirkliche Parallele zu Heidegger ersetzt ohnehin kein Urteil. Es liesse sich z.B. leicht jeder beliebige Autor der Eigentlichkeit, der Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand oder eines beliebigen anderen Tatbestandes des neuen antideutschen StGB überführen, E.T.A. Hoffmann, Thukydides, oder natürlich Dr. Oetker (“Schöner Backen“). Mit den Methoden, die man in diesem Filosofie-Repetitorium für Bummelstudenten gelernt hat, das die antideutsche Szene ja auch war, ist das tatsächlich möglich. (Es ist alles damit möglich. Das ist das erschreckende daran.) – Es reicht nicht aus, die Ideologie als Ideologie zu kritisieren, wenn man sie nicht als diejenige gesellschaftliche Praxis kritisiert, zu der jene Ideologie nur das Bewusstsein ist; Marx z.B. hat die politische Ökonomie der Smith und Ricardo kritisiert, ohne ein Psychogramm der beiden Autoren zu erarbeiten; er hat sich aber auch die Mühe gemacht, die Realität zu beachten, die den Begriffen der beiden Autoren zukommt, und sich dabei in endlose Versuche verrannt, deren notwendige Irrtümer erst zu berichtigen, bevor er sie kritisiert. Solche Mühe möchte man sich heute vielleicht nicht mehr machen; es gibt welche, die ziehen stattdessen z.B. zur Kritik von Carl Schmitt Anekdoten aus seinem Sexualleben heran;(2) so fortgeschritten war Marx ja nun nicht. – Von der antideutschen Literatur seit etwa 2005 gibt es wenig zu lernen; das meiste wird zu Recht vergessen werden, das beste ist ungeschrieben, und das, was da ist, nämlich die Szene, ist zum Lachen. Die Aufgabe einer Kritik wird z.B. an welche fallen müssen, die es nicht mehr nötig haben, immer und überall von „der Kritik“ zu reden, wenn sie sich selbst meinen. Der letzte Satz war vitalistisch. Und mit solchen schlechten Witzen geht ein dummes Kapitel zu Ende, und fängt ein neues an.

Anmerkungen

1 Etwa Gruber in: Gegenaufklärung, Frb. i. Br. 2011, S. 163; die Zeilen ab
„Wie Schmitt das Recht als abstrakte Allgemeinheit fasst“ sind unbezahlbar; das zweitschönste Beispiel dafür, wie man es nicht macht. Er verfehlt seinen Gegenstand mit staunenswerter Präzision. Man beachte, wie rührend hilflos er mit der Schuldefinition des Gesetzes als etwas abstrakt-allgemeinen umgeht, als mutmasse er halb oder ganz, dass sich Schmitt diese ausgedacht haben könnte, aus purer Rancune gegens Abstrakte. – Überflüssig, zu erwähnen, dass er nur glaubt, hier eine charakteristische Stelle zu behandeln. Er zitiert Schmitt, wo Schmitt einen juristischen Allgemeinplatz zitiert. Nur weiss Gruber das nicht, und versucht possierlich, aus dem Allgemeinplatz eine Faschismuskritik zu entwickeln; und bei Gott, es gelingt ihm fast auch noch; wenn er aber wüsste, was für ein Fang ihm gelungen wäre, wenn ihm dies gelungen wäre!

2 Blumentritt hält es für erwähnenswert, dass Carl Schmitt gerne Sex in Eisenbahnzügen hatte. Von den objektiven Problemen des Staates und des Rechts will er nichts wissen. Wenn man sich sagen lassen muss, dass man die Methode von Schmitt selbst, Glossarium S. 215, verwendet, dann hat man wohl irgendwas falsch gemacht.