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Which side are you on?

Na, was kost’n die Säu‘ heut‘? Beziehungsweise, auf welche Seite stellt sich heute die „Ideologiekritik“?

Letztens solidarisierte sich schon mal die AfD-Demo in Berlin mit Tommy Robinson von English Defence Force, die gerne mal mit UKIP, mal mit British National Party rummacht. Der gute Mann kriegt jetzt 13 Monate Freiheitsentzug und gilt bereits als Märtyrer für freie Berichtserstattung, für all die unbequemen Dinge, die „auch gesagt werden müssen“, sprich dass das Abendland gegen die Islamisierung anschleppende AusländerInnen verteidigt werden soll.

Beim näheren Betrachten allerdings stellt sich die Sache etwa so dar:

Robinson berichtete dort von einem Prozess, in dem ein Fall von Kindesmissbrauch verhandelt wurde. Angeklagt sind dabei muslimische Einwanderer. Bereits Anfang Mai 2017 filmte Robinson während einer Verhandlung im Gerichtssaal, was in England, wie in vielen westlichen Staaten, verboten ist. Robinson kassierte dafür eine dreimonatige Bewährungsstrafe. Der zuständige Richter warnte ihn bereits damals, dass er eine Gefängnisstrafe bekommen könne, wenn er ein weiteres Mal unzulässige Details über einen Prozess veröffentliche.

Da in England Fälle von Raub, Mord und Sexualdelikte an einem Crown Court verhandelt werden, an denen eine Jury ein Urteil spricht, sind die Regeln besonders streng, wenn es um eine mögliche Vorverurteilung von Verdächtigen geht. Details wie Namen, auch von Anklägern und Anwälten dürfen nicht genannt, Fotos der Angeklagten – insbesondere von Minderjährigen – nicht gezeigt werden.

Und gegen genau diese Vorschriften hat Robinson mehrfach verstoßen: Er filmte im Gerichtssaal minderjährige Angeklagte. Am 25. Mai dann streamte er bei Facebook ein Live-Video der Angeklagten beim Betreten des Gerichts, trotz der Bewährungsstrafe. Nach etwa einer Stunde wurde er von Polizisten festgenommen und im Schnellverfahren zu 13 Monaten Gefängnis verurteilt.

Robinson verstieß also wissentlich gegen durchaus bürgerlich-rationale Einrichtungen des Rechtstaates, die bekanntlich auch für Faschist*innen zu gelten haben. Also, wie wird sich die „Ideologiekritik“ entscheiden? Ehrlich gesagt, so was braucht man gar nicht zu fragen, denn es wurde vor einigen Jahren schon vorgedacht. Eher sollte man fragen, wie weit „Es“, welches für die Leute bekanntlich denkt, diese Leute noch trieben? Dazu vielleicht, dass K., der 2016 vor einer Moschee in Dresden Rohrbomben zünden ließ, eine Art Marinus van der Lubbe ist? Ist ein gut gemeinter Vorschlag, kann man elaborieren, wenn man möchte.

spf

P.S. Billy Bragg ist Ehrenmann und hat mit der Sach‘ nix tun tun!

 

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Der bremische BAMF-Skandal

Über den gerade ablaufenden Skandal um angeblich zu Unrecht erteilte Anerkennungen von Asylanträgen in Bremen kann man eigentlich nicht viel sagen, weil man nichts genaues weiss. Vermuten kann man, dass den Yeziden jetzt Angst und Bange werden wird; wie es aussieht, wird in der öffentlichen Debatte nicht die Frage gestellt werden, ob Asylanerkennungen von Yeziden aus Syrien oder Iraq wirklich rechtswidrig ergehen können, auch wenn auf grössere Nachforschungen verzichtet wird, weil eigentlich aus der Tagespresse bekannt sein dürfte, wie es den Yeziden dort und in den Flüchtlingsunterkünften hier ergeht.

Was man, anders als die meisten Details, auch schon weiss, ist, dass niemand diese Debatte unter genau diesem Aspekt führen wird: als etwas, wo sich jemand zugunsten der Yeziden über Dienstvorschriften hinweggesetzt haben könnte. Man kann es für garantiert nehmen, dass die Geschichte als Argument genommen werden wird, um allen anderen an den KRagen zu gehen. Jetzt schon, wo die ganze Sache noch in einem frühen Stadium ist, schickt das BAMF praktisch jedes Stück Papier zur Urkundenprüfung und hält es für eine Fälschung, wenn sie so ein Stück Papier noch nie gesehen hat. Neuerdings verlautet, sie werden in solchen Fällen gleich Anzeige erstatten. Das wird den Leuten eine Lehre sein, privatschriftliche Urkunden oder andere Beweismittel vorzulegen.

Und das ganze ist erst der Anfang. Bei Gelegenheit dieser ganzen Sache fällt einem die Vorgeschichte der Hartz-Reform ein. Bis ungefährt 2005 hiess die „Bundesagentur für Arbeit“ sachgemäss „Bundesamt für Arbeit“, es gab Dinge wie Arbeitslosenhilfe, und eine ganze Reihe anderer Sachen. Wie ging das zu, dass sich das änderte? Es handelte sich um den sogenannten Vermittlungsskandal des Bundesamts für Arbeit. Es stellte sich 2002 heraus, dass in der internen Statistik die Arbeitsämter viele, die einen Job gefunden hatten, als „vermittelt“ geführt worden waren. Das verzerrt natürlich die Statistiken, aber alle diese Statistiken sind immer verzerrt, um den richtigen Eindruck zu geben. Seit den 1980ern offenbar war es politisch gewollt, dass solche Abgänge aus der Statikstik als Vermittlungserfolg galten, und es kann einem tatsächlich völlig scheissegal sein, ob man das so nennt oder anders; vor allem, wenn man weiss, wie dieses Haus von jeher gearbeitet hat.

War es aber nicht, sondern im Gegenteil ein grosser Skandal, als sich nämlich der politische Wille geändert hatte und die plötzliche Entdeckung dieses Umstandes, der lange bekannt war, die Gelegenheit gab, bzw. den Vorwand, sich einiger sozialer Arbeiterrechte zu entledigen. Wie konnte es passieren, dass eine Sache wegen blöder Vermittlungsstatistiken sich zur Abschaffung der Arbeitslosenhilfe ausgewachsen hat? Wie kommt man von einer vielleicht irreführenden Statistik zum grössten Arbeiter-Enteignungsprogramm der Nachkriegsgeschichte? Nun ja. Lange Geschichte. Es ist im wesentlichen die gleiche Geschichte wie die, die man aus diesem sogenannten bremer Skandal machen wird.

Solche Sachen passieren nicht wegen entdeckten Missständen, sondern weil der politische Wille sich geändert hat. Nehmt das, und die sehr bald rapide sinkenden Anerkennungsquoten, den geplanten Angriff auf das Klageverfahren, und nehmt die Kriminalisierung der banalsten Akte des Widerstands, und ihr werdet sehen, wo die Reise hinführt: nach Ungarn.

Was Orban aber hat, und was Seehofer nicht hat, ist ein Land ohne Opposition. Seehofer und seine Leute können sich leicht die Zähne an diesem Vorhaben ausbeissen. Die Anti-Deportations-Bewegung muss in dieser Periode den Kontakt zwischen den Leuten in den Lagern und der Aussenwelt vermitteln, bis tief ins bürgerliche Lager, und muss dafür sorgen, dass der Protest gehört wird und nicht von der Polizei isoliert und kriminalisiert wird. Das ist der erste Schritt.

Die guten Leute in Bayern aber müssen noch eines mehr tun, sie müssen sich auf die Zunge beissen und ihren Teil dazu leisten, dass die CSU bei den Landtagswahlen untergeht. Nicht, weil es in der Substanz etwas ändert, ob eine „kinder, gentler machine gun hand“ regiert. Sondern, weil es ein lautes Zeichen senden wird, bis wieweit die Partei Orbans gehen kann, und bis wie weit nicht.