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Zur Weltlage

Wenn wir aber trotz dem noch kurz ein paar Sachen über die Weltlage im Ganzen sagen sollen:

Es ist völlig ironisch, wie das Impeachment-Verfahren gegen Trump am Ende wirklich in Gang kommt: nämlich wegen der ukrainischen Frage, nachdem er versucht hatte, den Präsidenten der ukrainischen Revolution unter Druck zu setzen.

Und Trumps Sturz könnte den Sturz des Trumpismus in anderen Länder beschleunigen. Wir glauben nicht daran, dass die Geschichte einen Sinn für Gerechtigkeit hat, aber vielleicht hat sie einen für Humor.

Eigentlich ist in diesem Vorfall ziemlich viel eingeschlossen. Wird der Liberalismus sich noch einmal aufrappeln, zu einem wirksamen Gegenangriff? Man sollte ihn nie unterschätzen. In den nächsten Wochen werden wir es sehen.

Welche Partei wird die Regierungsmacht in der Hand halten, wenn die Krise von 2008 wiederkommt? Und wie entschieden wird sie diese Regierunsmacht benutzen? Die Geschichte des 21. Jahrhunderts entscheidet sich jetzt, und niemand weiss vorher, welcher Schritt welche Wirkung haben wird.

Also, halten wir uns einstweilen an das, was wir können: an die Grundlagen, insofern sie nämlich noch nicht gelegt sind.

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At the Turning of the Tides

Fall die geneigte Leser/innenschaft sich wundert, warum wir nicht wie gewohnt treffend, witzig und tiefgründig die Weltlage auseinandernehmen, haben wir eine sehr gute Entschuldigung parat.

Die Weltlage nimmt sich derzeit schneller selbst auseinander, als wir es könnten. Dem hinterherzurennen ist sinnlos. Wir halten es für sinnvoller, Richtung und Geschwindigkeit abzuschätzen und dann unsere eigenen Dispositionen zu treffen. Wir denken, dass unsere Einschätzungen aus den letzten Jahren im Moment keine Berichtigung, Präzisierung und Weiterentwicklung brauchen.

Die ganze aufgeregte alltägliche Debatte um Nichts kann man sich nämlich ein bisschen schenken. In genau derselben Zeit, die man damit verbringt, kommt man nicht dazu, sich vorzubereiten. Und Vorbereitung tut not. Welche Teile der sogenannten Linken werden in der Lage sein, irgendeine ihrer angeblichen Aufgaben zu erfüllen, sobald etwas darauf ankommt? Eben.

Es ist eigentlich ein guter Zeitpunkt für einen Neuaufbau. Immerhin findet die Umgruppierung, die wir als seine Voraussetzung seit fast 10 Jahren fordern, mittlerweile anscheinend statt. Unsere eigenen Beiträge dazu, in ihrer literarischen Form, wird man jedenfalls in den nächsten Monaten zu sehen bekommen.

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Streik

Der Wecker scheppert. Ich atme durch, die kühle Luft schmerzt in der Kehle. Der Geschmack im Mund ist widerlich.
Draußen der Lärm vom Schichtverkehr. Also nicht verschlafen. Ich quäle mich hoch, gehe zum Fenster. Auf der Straße die Busse. Fahrradfahrer in dichten Pulks. Die Luft riecht heute bitterscharf mit einem Hauch Desinfizierer. Daher das Mundgefühl. Wer weiß, was sie über Nacht abgeblasen haben. Auf dem Tisch steht noch eine Handbreit Wodka. Ich setze die Flasche an. Das leichte Brennen im Hals schmeckt fast wie Geborgenheit. Auf alle Fälle besser als das, was zuvor mein Mund aushauchte.
Neben der Flasche noch ein Kanten vom frischen Vollkornbrot und Knoblauch. Frühstück. Ich beiße von beidem ab und ziehe mich an. Wir wollens mal nicht übertreiben. Immer abwechselnd, Brot, Flasche, Knoblauch.
Das Zimmer ist noch im Dämmerlicht der Straßenlaternen. Zwei Stühle, ein Schrank, ein Tisch, ein Bett. Also sehr überschaubar und kein Grund, mehr Licht anzumachen. Draußen schiebt sich ein flacher Nebel aus der Aue Richtung Verbindungsstraße, auf der der Verkehr langsam abebbt. Also bei Dreiviertel 6. Halb Sieben ist mein Schichtbeginn. Werde ich wohl überpünktlich sein. Und es wird Sprüche geben, was ich so zeitig da sei…

Die paar Hundert Meter bis zum Werkstor schlendere ich fast. Genieße es, Zeit zu haben, nicht hetzen zu müssen. Das kommt wahrlich nicht oft vor. So bleibt sogar Zeit für einen Blick auf die Vorüberradelnden. Sehe aber kein bekanntes Gesicht, was mich nicht verwundert. Die meisten aus meiner Brigade kommen durch andere Betriebstore.
An der nächsten Straßenecke kommt mir ein anderer Geruch entgegen. Irgendwas mit Sauerkraut. Senfgeruch? Könnte Dienstag sein. Also erwartet mich ein interessanter Feierabend. Da probt der Blues im HdJ. Fein. Muss ich morgen wohl wieder abbummeln.
Überstunden habe ich eh genug. Ziehe mir alles rein, was ich kriegen kann. So muss ich auf keine Party oder Band verzichten. Die Brigade mag mich drum. Ansonsten bin ich da wohl eher eine Merkwürdigkeit. Nicht, daß ich was gegen die Arbeit hätte. Die macht Spaß, die Brigade ist o.k. Aber wir arbeiten im Schnitt nur Dreidreiviertel Stunden am Tag. Der Rest wird irgend rumgebracht. Dazu ist mir meine Lebenszeit eigentlich zu schade. Abtauchen und Lesen ist auch nicht immer möglich.
Es könnte ja auch mal unverhofft Arbeit reinkommen. Und dann müssten die anderen meinen Teil mitmachen. Unschön.

An der Stechuhr ist keine Schlange. Der superpünktliche Herr Jungfacharbeiter stanzt sich seine erste 6:22 auf die Karte.
Stechuhren verband ich immer mit Kapitalismus. Seit ich hier arbeite, sind sie ein Sinnbild für Großbetriebe. Große Pulks grauer Wesen, die es zum Tagwerk zieht. Ewiges, unpersönliches Hamsterrad. Spuren von Mordor.
Die Umkleide ist eine hohe düstere Halle mit Reihen von Spinden. Daß ich meinen trotzdem immer leicht finde, liegt nicht an der spärlichen Beleuchtung und auch an keiner großen Besonderheit. Ist aber so. Die meisten leisten sich den Luxus eines zweiten Spindes. Denn abgesehen, daß alles irgendwie nach Kakerlakentod riecht, nimmt das Innere des Spindes schnell den Geruch nach glühendem Metall und Öl an und nach der Asche, die im ganzen Kraftwerk tanzt. Mal mehr mal weniger große Teilchen aber immer präsent. Alles bedeckt sie in Rieselhöhe. Die kleinste Erschütterung wirbelt alles auf. Also vorsichtig Treppen steigen. Nirgendwo anstoßen. Sonst hebt sich eine Wolke, die sich je nach auf- oder absteigender Luft hoch oder runter bewegt.
Da die Etagen nur durch Lichtgitterroste getrennt sind, war dies auch ein beliebter Streich gegenüber unliebsamen Personen.
Die Lichtgitterroste hatten auch den Effekt, daß sie aus den Augenwinkeln im rechten Winkel nicht wahrgenommen wurden. Dadurch entstand manchmal der schwindelerregende Effekt, ins Leere zu treten. Dem ließ sich durch den alkoholbedingten Tunnelblick entgegenwirken. Weiterlesen