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Buchbesprechung: Sheila Jeffreys, „Unpacking Queer Politics. A Lesbian Feminist Perspective“, 2003

von Jörg Finkenberger

Das mittlerweile 15 Jahre alte Buch hält vollständig, was der Titel verspricht: Jeffreys sortiert die Entwicklung der Frauen-, Lesben- und Schwulenbewegung seit 1968 bis kurz vor heute auf. Diese Bewegungen sind keineswegs in sich homogen, sie stehen sich auch nicht äusserlich gegenüber, sondern sie sind notwendig aufeinander bezogen, können ohne diesen Bezug eigentlich nicht vorgestellt werden. Sie sind aber nicht notwendig auf das gleiche Ziel gerichtet, sondern können zu völlig widersprüchlichen Positionen gelangen. Die gesellschaftlichen Gruppen, die sie tragen, haben in der Tat eine völlig verschiedene Stellung und verschiedene Ansprüche, die sich unterschiedlich gut in die bestehende Ordnung integrieren lassen. Die Gefahr ist damit gegeben, dass sie sich zersplittern und gegeneinander ausspielen lassen.

Historisch ist genau das auch geschehen. Sheila Jeffreys zeichnet nach, wie der Feminismus der Zweiten Frauenbewegung in den 1980ern abgelöst wurde von der seither anscheinend vorherrschenden Doktrin, dem sogenannten Queerfeminismus. Entscheidend für den Feminismus der Zweiten Frauenbewegung war der Anspruch, die sozialen Geschlechterrollen abzuschaffen. Die Geschlechterrollen, das heisst die gesellschaftliche Herrschaft der Männer über die Frauen, sind vermutlich als die Grundtatsache aller Gesellschaft seit etwa 10.000 Jahren anzusehen; ihre Abschaffung wäre die erste Voraussetzung der Abschaffung von Eigentum und Staat.

Über diese Behauptung wird an geeigneter Stelle von der Position der materialistischen Ökonomiekritik Beweis geführt werden.

Innerhalb der Schwulenbewegung war die Anhänglichkeit an diese Vorstellung nur recht kurze Zeit herrschend; ihr liberaler Flügel suchte die Integration in die bürgerliche Gesellschaft. Diese ist ihr bis zu einem bestimmten Punkt möglich; die Voraussetzungen, eine durch die gesellschaftliche Männerherrschaft geprägte Sexualität, lässt sich in der Schwulenbewegung gegen den lesbisch geprägten Feminismus einsetzen. Auf einmal, ungefähr gleichzeitig mit der Rezeption Foucaults, schreitet die Idee fort, die Geschlechterrollen seien nicht etwas, das zerstört werden müsse, sondern seien als Elemente der Befreiung denkbar. Für die hedonistisch, sadomasochistisch oder fetischistisch interessierten Teile der Szene hat das in dem Mass eine Plausibilität, in dem die Szene sich entpolitisiert.

Das ideologische Sammelgefäss, indem alle diese Strömungen, die vom früheren feministischen Konsens abgefallen sind, zusammenlaufen, ist die Queer Theory. Ihre Vorstellung von sexueller Befreiung erinnert an die zurecht gescheiterten Anläufe der sexuellen Revolution der 1960er, die eigentlich nur auf eine Liberalisierung der sexuellen Tätigkeit hinausläuft; als ob damit die gesellschaftliche Herrschaft, die sie strukturiert, irgendwie schon aufgehoben wäre.

Es stellt sich die Frage, ob man den Queerfeminismus eigentlich noch als Feminismus bezeichnen kann, oder ob man es hier mit einem dreisten Etikettenschwindel zu tun hat. Es wäre keineswegs das erste Mal, dass etwas sich nach dem Gegenteil benennt, für das es steht. Die DKP heisst ja schliesslich auch „kommunistisch“.

Man spricht nicht mehr von Geschlechterrollen als gesellschaftlich geschaffenen Formen, die zu zerbrechen sind, sondern von Gender wie einer Substanz, der legitime Rechte und Identitäten zugesprochen wird. Damit spricht man nicht mehr von gesellschaftlicher Herrschaft. Man spricht allenfalls von Macht im Sinne Foucaults; was auch immer das heisst. Für materialistische Gesellschaftskritik ist diese Theorie ohne jedes Interesse. Auf eine bestimmte Weise gibt es heute keinen Feminismus. Was es stattdessen gibt, ist ein bequemer Ersatz, der niemandem etwas abverlangt, niemandem wehtut und für niemanden eine Bedrohung darstellt.

Sheila Jeffreys hat, soweit es mich betrifft, alles zu diesem Thema gesagt. Anders als auf Grundlage dieses Buches braucht man sich mit mir über sowas wahrscheinlich nicht mehr unterhalten. Wenn man schon dabei ist, kann man auch gleich noch den ganzen Rest des Second Wave Feminism mitnehmen, rückwärts bis zum grossartigen Startschuss, Dialectics of Sex von Shulamith Firestone. Es wäre interessant, ob an diesem Faden in den heutigen Kämpfen wiederangeknüpft werden wird.

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Leila Shami über den türkischen Angriff

Über die derzeitigen Entwicklungen im syrischen Krieg wird noch viel zu sagen sein. Und was zu sagen sein wird, ist mit Forderungen wie „Hände weg von Rojava“ noch lange nicht gesagt. Aber wir werden, dem Standpunkt getreu, den wir von Anfang an eingenommen haben, weniger auf diejenigen hören, denen zu Syrien nur Kurdistan und die PKK einfallen will; wir haben von Anfang an auf den Verrat an den Arabern hingewiesen.

It is not the first time the US has abandoned allies in Syria, and it’s unlikely this betrayal will easily be forgotten by those who will suffer the consequences.

So schreibt Leila Shami, eine der wenigen hörbaren Stimmen, der wir in diesen Fragen trauen können; eine der wenigen, auf die man sich verlassen konnte, als alle Welt und auch die Linke Syrien untergehen liess; als in Ost und West alle so taten, als wäre die syrische Revolution das Werk einer imperialistischen oder einer islamistischen Verschwörung.

Was, wenn nicht Rassismus, ist es eigentlich, was der Welt diese ungeheure Lüge so glatt hat eingehen lassen? Jetzt, wo die selbe Logik auch die Kurden verschlingt, käme die Einsicht zu spät; die Führung der PKK hat sich in Gegensatz zu der arabischen Bevölkerung bringen lassen, um sich von Assad einen kurzfristigen Vorteil schenken zu lassen. Jetzt, wo die Revolution in den arabischen Landesteilen liquidiert ist, ist ihre Rolle ausgespielt, und die grossen Mächte werfen sie fort.

…the PYD has been left with little option but to negotiate a return of regime control, ending an experiment in Kurdish autonomy which has led to significant gains for the population in the realization of many of their rights long denied by the Arabist regime. This was likely only a matter of time. When the regime handed power to the PYD it probably calculated three factors: that this transfer of power would stop the Kurds fighting the regime, allowing the regime to concentrate military resources elsewhere; that it would fragment and thus weaken the Syrian opposition to Assad along sectarian divisions; and that if the PYD became too powerful, Turkey would intervene to prevent them from expanding, allowing the regime to retake control.

Die einäugigen Enthusiasten, die die PKK feiern, wie man früher die Sowjetunion gefeiert hat, haben sich nie die Frage gestellt, wie die PKK denn am Anfang in den Besitz der Macht im nördlichen Syrien gekommen war. Dieser ursprüngliche Betrug verstrickte das Schicksal der Revolution in Nord-Syrien von Anfang an in Komplizenschaft. Die kurdische Revolution, sogar die PKK hätte der syrischen Revolution viel mitzuteilen gehabt; die PKK hat sich von Anfang an dagegen entschieden. Sie hat Schuld auf sich geladen; sie hat, als Aleppo fiel, von den Bergen von Afrin zugesehen. Zu dieser Zeit hatten die geschlagenen arabischen Syrer keinen Freund mehr auf der Welt. Heute gibt man sich verwundert, dass es arabische Milizen gibt, die mit der Türkei gegen die PKK vorrücken.

Anti-regime activists, both Arabs and Kurds, are now at risk of being rounded up and detained for possible death by torture. SDF fighters are also not safe. Just days ago Syria’s Deputy Foreign Minister Faisal Maqdad declared that they had “betrayed their country and committed crimes against it.” Whilst many Kurds, abandoned by the US, may feel safer under Assad than Turkey, some Arab civilians living in SDF controlled areas such as Deir Al Zour and Raqqa fear a reconquest by the regime and Iranian militias above all else, and feel safer under Turkish protection. Syrians are rendered desperate, and dependent on foreign powers for survival.

Die Putinisten erzählen uns, Syrien sei zerrissen worden durch die Revolution. Die Wahrheit ist, dass Syrien zerrissen worden ist durch den Verrat an der Revolution.

What is happening today is a disaster not only for Kurds but for all Free Syrians. … Many of those protesting Turkey’s assault on north eastern Syria failed to mobilise to condemn the ongoing Russian and regime assault on Idlib where three million civilians are living in daily terror. In fact they’ve failed to notice that for years Syrians have been massacred by bombs, chemical weapons and industrial scale torture. Some of those calling for a No Fly Zone to protect Kurdish civilians from aerial bombardment previously slandered Syrians elsewhere calling for the same protection as warmongerers and agents of imperialism. Once again solidarity seems dependent not on outrage against war crimes, but on who is the perpetrator and who is the victim. Syrian lives are expendable in the battle for narratives and grand ideological frameworks.

„Syrian lives are expendable“, so ist es. Und so haben es alle gehalten. Nicht nur die grossen Mächte. Auch die Weltöffentlichkeit, von der diejenigen nur ein kleiner Teil sind, die sich für Linke halten. Es haben sich noch 1914 allerhand Leute für Linke gehalten, die bald herausgefunden haben, dass sie das nicht mehr sind; nicht das, was man glaubt, dass man ist, entscheidet das, sondern das, was man tut. Die Linke dieses jetzigen Zeitalters wird kleiner sein als gedacht; sie wird nicht aus den Reihen dieser Leute hervorgehen.

The Syrian tragedy is a stain on the conscience of humanity.

Und das ist nicht alles. Die syrische Tragödie hat alle Verhältnisse verändert. Sie zwingt allen nachkommenden Geschlechtern einige Einsichten auf. Aber auch das ist nicht alles. Auch für die Sieger ist die Geschichte noch nicht zuende. Selbst die geschlagene Revolution kann leicht in dem Sog noch ihre eigenen Henker mit in den Abgrund reissen. Erdogan, Putin, Assad, selbst Trump. Wir sehen uns das in den nächsten Fortsetzungen an.

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Würzburg II

Die Partei hat immer unrecht

von Jörg Finkenberger

Die eher linken Teile der Gesellschaft befinden sich in Deutschland in einer merkwürdigen Lage, und es ist vielleicht ganz interessant, das einmal auf der Ebene einer kleinen und übersichtlichen Stadt wie Würzburg zu behandeln. Würzburg ist an sich für nichts wirklich repräsentativ, ausser für andere Städte wie Würzburg; und ob es dergleichen gibt, will man gar nicht so genau wissen. Aber verschiedene Muster, die sich in der einen oder anderen Form überall zeigen, sieht man in Würzburg doch jedenfalls auch. Vielleicht ist eine nähere Betrachtung aufschlussreich auch als Beitrag zu allgemeineren Fragen. Jedenfalls kann sie für die Praxis in Würzburg nützlich sein.

I.

Wir haben im ersten Teil der Reihe über Würzburg davon gesprochen, dass es kein institutionelles Gedächtnis für eine linke Szene in Würzburg gibt; es gibt keine aktiven Gruppen, deren Tätigkeit über einen Zeitraum vor 2005 zurückreicht, und die in der Lage wären, neuerdings aktiven oder neu dazugekommenen glaubwürdige Hilfe anzubieten, oder wenn es solche gibt, dann sind sie nicht leicht aufzufinden. Jede neue Gruppe von jüngeren Leuten muss sich deswegen umständlich neu orientieren, ehe sie dann, wie es meistens der Fall ist, nach einer bestimmten Zeit einpackt und weiterzieht.

Ob sich das in den Jahren nach 2012 geändert hat, ob in den neuen kleineren Räumen wie der Mietze oder dem Freiraum sich auf mittlere Frist etwas besseres etablieren lässt, ist derzeit noch nicht ganz klar. Es sieht aber in jedem Fall seit einigen Jahren besser aus, als es lange Zeit vorher war. Das hat nicht nur mit einer grösser gewordenen Szene zu tun, sondern mit ihrer erfreulichen Unabhängigkeit von bestimmten älteren Strukturen.

Um diese Strukturen soll es hier gehen. 2012 ist in diesem Heft schon einmal, eher am Rande, von ihnen die Rede gewesen; Auseinandersetzungen hatte es die ganzen letzten zehn Jahre gegeben. Es soll hier nicht alles ausführlich wiederaufgewärmt werden; es soll aber sehr wohl ein bisschen Hintergrund gezeigt werden. Es sind ja nicht alte Geschichten, die wir erzählen, wenn wir versuchen, Fragen zu beantworten wie diese: warum hatte die Linkspartei in Würzburg eine Kreissprecherin, die sich anhört wie Pegida?

Die Antwort auf diese Frage verlangt es, dass man ein bisschen Licht auf das verrottete Milieu einer bestimmten Sorte alter würzburger Linker wirft. Die meisten dieser Leute gibt es immer noch, und ihre Handlungen haben immer noch Folgen. Weiterlesen

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Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung: Linz/Wien

Patriotische ÖsterreicherInnen haben auch was zum Feiern Anfang Oktober.

In Ternitz bei Schoeller-Bleckmann hatte die SPÖ schon am 3. Oktober mit Aktivisten aus ihren Reihen einen „Bewachungsdienst eingerichtet, der über Nacht im Betrieb blieb und dort verköstigt wurde. Es waren etwa 200 Mann, ausgerüstet mit Schlagwaffen: Holz, Stahl, Eisen.

Die Belegschaft auch dieses Werkes hatte längst nicht mehr den großen Willen zum Streik wie noch vor einer Woche. Die Putschlüge hatte zu wirken begonnen und die Drohung, die über allen Arbeitern in der Luft lag.

Trotzdem aber erzwangen sich die Rax-Werke-Arbeiter Einlass in den Betrieb, als die auch vom Grünbacher Bergwerk mit fünf Lastautos ankamen. Es kam zu einer Prügelei, und die sozialistische „Schutzmannschaft“ wehrte such eifrig, um das Eigentum der Privatkapitalisten Schoeller-Bleckmann zu verteidigen, aber die Arbeiter waren in der Überzahl und erzwangen sich den Einlass in den Betrieb und beriefen sofort eine Versammlung ein.

Um 17 Uhr besetzten sie das Wiener Neustädter Telefonamt. Streikleitungen anderer größerer Betriebe im Neukirchner Bezirk hatten die Arbeiter nach Hause geschickt, um ähnliche, den Streik in Verruf bringende Zwischenfälle zu vermeiden.

Um vier Uhr früh marschierten mit Gewehr, aufgepflaztem Bajonett und Stahlhelm augemascherlte 250-Mann-Gendarmerie aus der Mödlinger Gendarmerieschule und eine Abteilung Bereitschaftspolizei aus Wien auf. Sie besetzten mit größter Brutalität das Telefonamt und prügelten die Arbeiter, die sie dort griffen, blutig.

Anscheinend sah man es in Helmer– und Olah-Kreisen gern, wenn es zu Verletzungen der Streikdisziplin kam, denn das setzte die SPÖ in die Lage, den Bürgerkrieg zugunsten des Kapitalismus zu üben. Und man konnte der Bevölkerung zeigen, mit welchen Menschen es man bei Kommunisten zu tun hatte. Und konnte nebenbei die sowjetische Besatzungsmacht zum Eingreifen provozieren.

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