(und zu guter Letzt die Besprechung aus dem letzten Heft – dGT)
Stephan Krüger, „Kritik der politischen Ökonomie und Kapitalismusanalyse“, 6 Bde., Hamburg 2010-2019, VSA Verlag
Die globale Krise von 2008 f. hat eine Reihe von Fragen wieder zu Ansehen gebracht, die früher ein eher verstecktes Dasein geführt haben. Überall in der linken und gewerkschaftlichen Literatur werden auf einmal wieder Debatten geführt, die irgendwann einmal in den 1980ern mehr oder minder sanft eingeschlafen waren; was ist eigentlich Geld, worauf beruht eigentlich die kapitalistische Produktion, wie und warum entstehen eigentlich Krisen?
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Sicherlich übertreiben wir masslos, wenn wir behaupten, diese Debatten wären vor 2008 nicht geführt worden! Sind nicht trotzdem jedes Jahr etliche neue Titel auf dem Buchmarkt aufgetaucht, von den verschiedensten Autoren, aus den verschiedensten Blickwinkeln und mit den verschiedensten Hintergründen? Ja, aber alle diese Theorien haben auf unheimliche Weise friedlich koexistiert, als wäre die Zeit schon angebrochen, wo der Wolf neben dem Schaf Gras rupft, Jes. 65, 25.
Ausser Robert Kurz und der Krisis auf der einen, der ISF Freiburg auf der anderen Seite, die man beide zusammen die „Wertkritik“ nannte, gab es unseres Wissens keinen Gegensatz in der Debatte, der noch irgendwie als feindlich bezeichnet werden konnte, jedenfalls nicht mehr seit 1989. Alle Standpunkte auf der Linken waren zu etwas ununterschiedenem zusammengeflossen, es war in Wahrheit ganz egal, ob man aus der leninistischen Stamokap-Schule kam oder vom Keynesianismus; die gegenseitigen Standpunkte taten sich, wie Schelling sagen würde, nicht mehr weh. Das ist nie ein gutes Zeichen.
Es ist nicht recht klar, ob es daran lag, dass nichts mehr von der Antwort auf diese Fragen abzuhängen schien, oder ob es aussichtslos war, darüber auch nur im Ernst nachzudenken; oder ob sich die Ansicht verbreitet hatte, dass der Gegenstand zu diesen Fragen irgendwann, vermutlich vor langer Zeit, abhanden gekommen war. Seit dann 1999 Huffschmidts „Politische Ökonomie der Finanzmärkte“ bei VSA erschien, musste allen klar sein, dass es niemandem mehr gross um die Einzelheiten scheren würde.
Allerdings stellt sich nach 2008 die Sache anscheinend plötzlich völlig anders dar. Nicht nur hierzulande, sondern überall scheinen die oben genannten Fragen plötzlich wieder mit Unnachgiebigkeit diskutiert zu werden. Man muss sich vorstellen, dass sogar ein gemütlicher und völlig unbekannter Verein wie die International Working Group on Value Theory über die bisher exotische Frage des Profitratenausgleichs plötzlich einfach auseinandergefallen zu sein scheint; dass also plötzlich Fragen akut, ja dringend wurden, die früher lange Zeit, und zwar vermutlich seit den 1960ern schon, für immer unwichtiger gehalten oder verschämt verschwiegen wurden.
Die Idee, alle die verschiedensten Tendenzen, Leninismus, antirevisionistischen Marxismus, Neue Marx-Lektüre und Keynesianismus und alles das irgendwie zusammenfügen zu können, hatte vor 2008 nicht funktioniert, sie bildete keineswegs die theoretische Unterlage für eine neue globale Linke; nach 2008 blamiert sie sich endgültig, weil ihre konstituierenden Bestandteile, wie sich zeigt, in Wahrheit in verschiedene Richtungen ziehen. Mit Verblüffen sieht man, dass nicht nur die europäische Linkspartei zwei Gesichter hat, die allerdings auf dem identischen Kopf sitzen, sondern auch alle ökonomische Theorie, die sich nichtsdestoweniger auf den identischen Marx zu berufen gezwungen ist.
Auf einmal erstehen die vergessenste marxologischen Gespenster wieder auf aus ihren stillen Grüften, selbst die des Dritten Bandes; was rede ich, sogar schon die des Zweiten, und den hat immerhin so gut wie niemand gelesen. Über die Antworten auf diese Fragen besteht natürlich keine Einigkeit, aber immerhin wird allen klar, dass keine Einigkeit besteht. Das ist immerhin etwas; in so einem Klima ist es wahrscheinlicher, dass es irgendwann welchen aufgeht, dass es die ganze Theorie, die bis vor kurzem noch alle in der Tasche zu haben meinten, gar nicht gibt.
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Stephan Krüger hat bei VSA jetzt eine „Kritik der Politischen Ökonomie“ in 6 Bänden veröffentlicht. Das ist ohne Zweifel ein Mammutwerk, das den besten Teil eines Jahrzehnts verschlungen haben dürfte, uns man kann das nicht ohne Respekt sagen. Ich weiss nicht, wieviele Leute sich die Mühe gemacht haben, sie zu lesen; ich weiss aber aus sicherer Quelle, das solche Bücher, wie AGBs, nicht dazu da sind, sie zu lesen, sondern um sich darauf berufen. Ein Buch dieser Länge und dieses Sachumfangs dient dazu, eine komplexe These aufzustellen, und sie über das ganze Gebiet einer Wissenschaft durchzuführen, um einen Beweis zu führen. Einen Beweis für eine bestimmte Art, das Wissenschaftsgebiet zu betrachten; dass sie nämlich eine vollständige Beschreibung ermöglicht; und einen Beweis für eine bestimmte Art des Umgangs mit diesen Ergebnissen, nämlich einen Möglichkeitsbeweis für eine bestimmte Art von Politik.
Die Art der Anschauung ist die keynesianische, und die Art der Politik ist, was Stephan Krüger sozialistische Marktwirtschaft nennt, und worüber hier also 6 Bände lang Beweis erhoben wird, ist die reale Durchführbarkeit einer sozialdemokratischen Politik neuen Typs. Es gibt durchaus einen gewissen Teil der neueren Literatur, mit dem Krüger hier konkurriert, und wenn wir uns den Namen Piketty (sng) in Erinnerung rufen, wird er diese Konkurrenz zumindest in der Publikumsgunst verlieren. Aber damit ist nicht gesagt, dass er ihn in Hinsicht auf seine Wirkung verlieren wird. Weiterlesen