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Buchbesprechung: Dath

Dietmar Dath
Klassenkämpfe im Dunkeln
Konkret Literatur-Verlag 2014

Dietmar Dath hat es zu erstaunlicher Popularität gebracht. Seine Bücher werden so begierig gelesen wie früher Sachen wie „Empire“, aber es sind viel mehr. Er haut, man weiss es nicht genau, jedes Jahr ein Buch raus im Durchschnitt. Wir wollen also nicht nörgeln, wenn es aussieht, als wären sie schlampig gearbeitet. Das ist nicht unser Einwand.

So etwas ist aber, weil jedenfalls das hier richtig schlampig gearbeitet ist, ein Einwand, den das normale Feuilleton machen müsste. Aber soweit jedenfalls ich sehe, gibt es überall nur gute Kritiken. Dath wird, und das ist verdächtig, anscheinend von allen Seiten gelobt. Das Buch hier hat aber eine solche Reihe von offensichtlichen Mängeln, dass sich der Eindruck aufdrängt, Dath werde vielleicht gar nicht Ernst genommen.

Auch uns geht es so, wie wir gestehen müssen. Wir haben sein Buch nur zur Hand genommen und erörtert, weil uns gesagt wurde, hier werde an einem Problem gearbeitet, das uns interessiert: wie nämlich eine Gesellschaft den Vorgang ihrer Produktion und Verteilung zu einem von ihr bewusst geplanten und gesteuerten machen könne.

Dath scheint die Voraussetzungen für so etwas nicht zu kennen. Er scheint sich auch nicht für sie zu interessieren. Er bietet sehr viele technische Ideen für die Lösung des Problems auf; aber er ist von erstaunlichem Mangel an Neugier, was die Stellung des Problems überhaupt betrifft. Und so kann es nicht ausbleiben, dass am Ende das Problem sich nach der Lösung zu richten haben wird; es scheint ihm überhaupt nicht aufzufallen, dass er schon S. 21 ausspricht, dass die Gesellschaft sich an die empfohlenen Massregeln einfach gewöhnen müsse, wie sie sich an andere vorher gewöhnt habe.

Eigentlich kann man, wenn man nur nach nützlichen Gedanken sucht, das Lesen da auch aufhören, weil nach so etwas nichts mehr gutes kommen kann. Aber vielleicht möchte man herausbekommen, was da eigentlich für eine Theorie getrieben wird, und für was für ein Problem da eine Lösung gefunden wird. Und man möchte vielleicht auch herausbekommen, wo Dath seine Ansichten her bezieht (er sagt es deutlich genug), und auf was seine unangefochtene Popularität eigentlich beruht.

1.
Man sollte Dath nicht Unwissen vorwerfen. Es ist nicht so, dass die Fehler, die wir in seiner Ausarbeitung finden, von dort her rühren. Bloss weil einer Redakteur der Spex oder FAZ ist, jedes Jahr ein Buch schreibt, bei der DKP Vortrag auf Vortrag hält, heisst das nicht, dass er keine Zeit für aufwendige Theoriearbeit hat.

Daths ganze Argumentation ist eher das Ergebnis einer weit in die 1990er zurückreichenden Debatte unter deutschen Linken, man möchte so weit gehen, sie ist deren geronnener Minimal-Konsens. Er wird genau an den Stellen vage, an denen diese Debatte keine Ergebnisse fand. Und so finden sich Parallel-Stellen zu den meisten seiner Gedanken in den Erzeugnissen jener unauffälligen Konventikel, die unter verschiednen Namen seit ungefähr 1993 an einer Erneuerung des Marxismus arbeiten.

Wir würden uns nicht lange über Dath verbreiten, wenn wir nicht so überdeutlich an seiner Gedankenführung die Charakteristik dieser Schule erkennen müssten. Dath gibt uns Gelegenheit, ihre Ergebnisse in ihrer Konsequenz zu betrachten. Wir haben früher die Tätigkeit dieser Kreise selbst mit Wohlwollen betrachtet; einer Erneuerung schien der Marxismus durchaus zu bedürfen. Aber es kommt natürlich darauf an, wie und was erneuert wird; was man herunterklopft, und was man behält.

Die Debatten über diese Erneuerung sind uns, damit verraten wir kein Unstaatsgeheimnis, viel zu konservativ geblieben; viel zu befangen in denjenigen Traditionen des Marxismus, die diesen im 20. Jahrhundert beherrscht haben; Traditionen, die z.B. den ganzen Leninismus mit einschliessen; und die nicht wir, sondern ganz andere vor uns schlechtweg als revisionistisch bezeichnet haben; welches wir zwischenzeitlich fast übernommen hätten, wenn es nicht so hoffnungslos altmodisch klänge.

Es wäre vielleicht ja doch falsch gewesen; es haben ganz offenkundig, unter dem blossen Namen des Marxismus vereint, von Anfang an einander ganz widerstreitende und unverträgliche Parteien bestanden. Und es ist an sich nichts dagegen zu sagen, dass diese natürlich völlig verschiednen Gebrauch von dem machen, was Marx tatsächlich gelehrt hat. Das führt natürlich zu der Täuschung, als wären diese verschiedenen Parteien in Wirklichkeit eine Partei, nämlich die marxistische.

2.
Was hätten die Marxisten denn nach 1991 zu tun gehabt? Sie hätten die beste Gelegenheit gehabt, einen sehr langen und nachdenklichen Blick auf den ganzen Sozialismus zu werfen; und zwar gerade dann, wenn man dieses Geschäft noch weiter betreiben will, einen nur um so gründlicheren. Seit 1917 hatte es ja allerhand sehr gründliche Kritik von Linken an dem bolschewistischen System gegeben; aber, wie man uns versicherte, bei allen Fehlern zeichnete diesen Sozialismus vor unseren Ideen das aus, dass er wenigstens wirklich bestand. Wollte man ihm nicht die Möglichkeit einräumen, dass er sich veränderte und aus den Schwierigkeiten seiner Gründungsphase herauswuchs?

Das war nun vorbei. Die Leere, die er hinterliess, hätte sich hervorragend mit einer wirklich gründlichen und umfassenden Kritik füllen lassen. Die gesamte bis dahin aufgelaufene Literatur einer linken Kritik dieses Systems hätte doch eine prächtige Vorarbeit abgegeben. Betrachten wir stattdessen, scheinbar zufällig ausgewählt, ein sehr zeitgenössisches Ergebnis solcher marxistischer Erneuerung.

„Mit dem Sieg der Konterrevolution 1989/90 stellt sich den Marxisten zwingend die Frage,warum der Sozialismus als die doch fortschrittlichere gesellschaftliche Ordnung untergehen konnte. Die Frage ist weltanschaulicher Natur, denn seit Marx sind die Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise hinreichend erforscht und seit Marx ist die Notwendigkeit des historischen Übergangs von der kapitalistischen zur sozialistischen Produktionsweise bewiesen. Die Niederlage der realsozialistischen ̈Okonomie erscheint somit als Widerlegung des Marxismus.“

So beginnt das auf einer eigenen Homepage verfügbare Buch „Politische Ökonomie des Kommunismus“ von Evelyn Pentzel, welcher Name gewiss kein Kollektivpseudonym ist. Dort wird, vor allem 96 ff. und 219 ff., dargelegt, auf welche Weise eine sozialistische Wirtschaft vorgehen soll, um eine schnelle Entfaltung der Produktivkräfte und eine stetig steigende Produktivität zu erreichen; nämlich anhand der Industrie- und Preispolitik des Stalinismus. Und 147 ff. wird erklärt, wie nach Stalins Tod seine Nachfolger warum auch immer von dieser äusserst erfolgreichen Politik abgegangen sind und die Sowjetunion in den Ruin, und in die Wiederherstellung des Kapitalismus geführt haben.

3.
So kann man das nämlich auch machen, wenn man die Frage nur auf geeignete Weise stellt. Man kann durchaus sagen: die erste und grundlegende Aufgabe einer sozialistischen Gesellschaft ist es, dass sie eine wirtschaftliche Grundlage garantiert, auf der dann in einem kontrollierten Prozess der Zwang und die Schinderei abgebaut werden können; wenn der ökonomische Zwang schwindet, beginnt der Übergang zur klassenlosen Gesellschaft.

Es gibt eine Reihe Einwände dagegen. Erstens, wie bekommt man die Arbeiter und im russischen Fall namentlich die Bauern dazu, das zu wollen? Das ist gar nicht so einfach, wie sich das durchschnittliche Intellektuelle vorstellen. Man kann natürlich so tun, als wäre es Zufall oder die Schuld der feindlichen Aussenwelt, dass die Bolschewiki Frieden, Land und Brot versprechen mussten, und stattdessen dann Bürgerkrieg, Enteignung der Bauern („Kollektivierung“) und Hungersnöte anzubieten hatten. Das sagen die Bolschewiken selbstverständlich auch in der Propaganda. Aber sie wissen sehr gut zwischen ihrer Propaganda und ihrer Strategie zu entscheiden. Und der Prozess ihres Sozialismus ist, wie sie genau wissen, kein gerader Weg, und wenn man den Leuten sagt, was sie erwartet, kämen sie nie auf die Idee, diesen Weg zu gehen.

Genau dazu ist ja die Partei da, dazu ist sie historisch notwendig, weil die Arbeiterklasse, so sagen die Leninisten, ein solches Bewusstsein nicht entwickeln kann; weil die Arbeiterklasse also das Bewusstsein, das sie brauchen, um zum Sozialismus zu kommen, von den Intellektuellen der Bürgerklasse entgegennehmen müssen; in Gestalt der leninistischen Partei und Ideologie. Eine viel zu krasse Unterstellung? Glaubts nicht mir, glaubts den Leninisten. Sie sagen es in genau so vielen Worten selbst.

Aber da ist ja dann doch einiges kaputt. Die Befreiung der Arbeiterklasse kann, heisst es bei Marx, nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein; ihre Klassenbewegung, und ihre Revolution, sollen sie zur herrschenden Klasse machen, und indem sie dies wird, hebt sie mit Notwendigkeit alle Klassen auf und errichtet die klassenlose Gesellschaft. Aber jetzt soll es so sein, dass sie selbst gar nicht wissen kann, wie sie das anstellen soll; dass ihr Klassenbewusstsein dazu nicht reicht; dass der Weg, den sie doch einerseits mit Notwendigkeit gehen soll, ihr in dichten Nebel gehüllt ist, und die Partei, d.h. ein Verein bürgerlicher Revolutionäre, sie erst durch Täuschung und Zwang dahin führen muss.

4.
Denn machen wir uns nur recht klar, was für eine Sorte Sozialismus hier empfohlen wird. Die Konsumgüterindustrie, oder nach uraltem marxistischem Brauch Abteilung II, soll wachsen. Die Kapitalgüterindustrie, früher sagte man dazu die Schwerindustrie, oder auf marxistisch Abteilung I, soll dagegen überproportional wachsen. Dazu ist nötig, dass die Landwirtschaft billigere Nahrungsmittel liefert. Die Leichtindustrie liefert den Bauern Gebrauchsartikel, die Bauern geben ihre Hausindustrie und Selbstversorgung auf und wenden ihre Arbeitskraft ganz auf die Produktion für den Markt bzw. den städtischen Verbrauch. Ob auf der Grundlage Akkumulation und Aufbau der Industrie möglich ist, war seit den 1890ern unter russischen Marxisten und Ökonomen umstritten. Rosa Luxemburg hielt es für unmöglich; sie beschrieb, wie der britische Kapitalismus überhaupt nur möglich war durch die Ausbeutung der britischen Kolonien, Überschwemmung mit billiger Ware, Ruin des einheimischen Gewerbes, Zurückdrängung der Kolonien auf die Landwirtschaft und in Unterentwicklung und dauerhafte Festlegung zu Lieferanten von bloss Rohstoff.

In der Sowjetunion probierte man folgendes: die Konsumgüterindustrie sollte im Austausch mit den Bauern Gewinne machen, auf hohe Profite hin kalkulieren. Auf die Gewinnen dieses Sektors beruhte, über Gewinnabführung und Umsatzsteuer, das staatliche Investitionsbudget. Das sollte in den Kapitalgütersektor gehen. Dieser Sektor sollte also nicht sich selbst finanzieren, sondern mit niedrigen Gewinnen und niedrigen Preisen kalkulieren, eigentlich nur mit einem Sicherheitsabstand zum Verlust, damit seine Produkte sich für die anderen Sektoren rechneten. Es stellte sich aber spätestens 1928 heraus, dass das ganze nicht funktionierte. Die Bauern akzeptierten die überhöhten Preise, mit denen die Industrialisierung getragen wurde, nicht, und natürlich hiess das, das sie ihre Produkte nicht verkauften.

Was danach geschah, nennt man irreführend „Kollektivierung“. Der Hauptpunkt war nicht die Zusammenlegung der Betriebe, nicht einmal die Liquidierung der Grossbauern. Sondern der Staat stellte den Getreidhandel unter Staatsmonopol und zwang den Bauernbetrieben die Preise, die er wollte, einfach auf. Die Hungersnöte auf dem Land waren die logische Folge. So kam das oben dargestellte Schema in Gang: durch die aufgezwungenen räuberischen Preise zahlten die Bauern, damals 70% der Bevölkerung, die Kosten der Industrialisierung. Rosa Luxenburg hatte Recht behalten; nur in der Variante, dass der neue Staat in der Lage war, die einheimische Bauernklasse genauso zu behandeln, wie die Briten Indien behandelt hatten.

5.
Dieser Sozialismus ist natürlich nur Kapitalismus mit gelenkten Preisen. Statt dass die Unternehmen eine allgemeine Profitrate auf ihre Kostenpreise draufschlagen, wird ihnen durch die Planungsbehörde Sektor für Sektor vorgegeben, welche Profitrate sie anstreben sollen.

Als umverteilender Mechanismus wirkt nicht die allgemeine Profitrate, die freie Kapitalbewegung, sondern das Staatsbudget. Aber ist das nicht genau der entscheidende Unterschied zum Kapitalismus? Macht nicht genau das Stabilität, Krisenfreiheit, planbare und steuerbare ausgeglichene Entwicklung möglich? Das kommt darauf an.

Denn man kann diese Wirtschaft nur eine Weile so treiben, diesen Kapitalismus mit eingeschränkter Kapitalbewegung. Man erzeugt ab einem bestimmten Punkt sektoral Über- und Unterkapazitäten. Irgendwann ist der industrielle Kapitalstock auf der Höhe der Zeit. Danach, man mag es wollen oder nicht, muss diese Subventionierung ein Ende haben. Die Löhne, für die man nichts kaufen kann, bilden einen gefährlichen Nachfrageüberhang; die weitere Investititom in den Maschinenpark bringt sinkende Erträge; das ganze System stagniert.

Denn das ganze ist immer noch, reguliert oder nicht, nicht nur Warenproduktion, sondern kapitalistische Warenproduktion. Das ist streng genommen immer noch umstritten, aber es gibt eigentlich keine Gründe dagegen. Es heisst manchmal, alle Industrie wäre doch staatlich gewesen, und der Austausch zwischen den staatlichen Betrieben sei bloss Verrechnung innerhalb derselben Sphäre, eine Art abstraktere Warenbuchhaltung. Das ist Unsinn. Eingestandenermassen war der Austausch mit dem agraischen Sektor Warentausch auf beiden Seiten; die Verbrauchsgüter sind als Waren produziert und mit Gewinn kalkuliert.

Aber, hört man, die Produktionsmittel hatten keinen Warencharakter! Ausser, dass die Kombinatsdirektoren, nachdem sie aufgrund ihres gemeldeten Beschaffungsbedarfs von der Planbehörde ihre planmässigen Zuteilungen erhielten, als erstes mit anderen Kombinatsdirektoren in regen Austausch traten; der Schwarzmarkt mit Produktionsmitteln, auch mit Arbeitseinsatz und Lohnfonds, florierte von Anfang an, ja er war die Voraussetzung, dass die Planvorgaben übrhaupt eingehalten werden konnten, und die Planer wussten das ganz genau. Solange sich die dort gebildeten Preise nicht von den offiziellen Raten unterschieden, war das fürs System auch kein Problem.

Aber es wird ein Problem dann, wenn die Preise auseinandergehen. Dann muss die Planung umsteuern, oder die Wirtschaft fliesst ihr auseinander wie flüssiger Teig. Und genau das geschah am Ende des Weltkriegs, und nach der Verlängerung, den die Intervention in den chinesischen und den koreanischen Bürgerkrieg brachte. Nach 1956 war es soweit. Die Preise sollten wirtschaftlicher, oder wertnäher, werden; der Maschinenbau sollte nicht mehr mit Verlust arbeiten, die Verbrauchgüterindustrie und die Inflation sollten den Nachfrageüberhang abschöpfen, und die institutionelle Voraussetzung war die betriebswirtschaftliche Selbstverantwortung der Unternehmen. Das heisst, sagen die Maoisten bekanntlich, die Restauration des Kapitalismus. Und haben nicht ganz Unrecht. Unrecht haben sie nur, weil sie annehmen, das vorher wäre etwas anderes gewesen.

6.
„An dem Gleichnis entlang läßt sich zum Beispiel präzise (statt romantisch) über die Frage diskutieren, ob und warum es in der DDR und der UdSSR eigentlich Warenproduktion gegeben hat… Daß freilich in der Sowjetunion noch in den fünfziger Jahren auf der Grundlage von gesellschaftlichem, genossenschaftlichem und staatlichem Eigentum große Anstrengungen unternommen wurden, wichtige Teile der Produktion, besonders auch der Herstellung der Maschinen vom Typ I, aus der Warenzirkulation herauszuhalten, gehört zu den heroischsten Unternehmungen der Neuzeit“ : das ist, was Dath dazu weiß. Es ist nicht viel.

Noch in den fünfziger Jahren, also unter Stalin; heroische Anstrengungen; man muss nicht lange fragen, für welche Ohren diese dog whistle bestimmt ist. Es gibt eine heute gar nicht mehr so versteckt auftretende Strömung eines moderischen Stalinismus; der Blogger Lyzis, der vom Internet-Troll zum Buchautor wurde in nicht ganz zehn Jahren; Zizek; und natürlich die Gemeinde der Hacks-Leser. Denn das man diesen Poeten aus ästhetischen Gründen schätzt, soll man wem anderen erzählen. Hacks schreibt offensichtlich für Leute, die Ordnung schätzen. Man siehts seinen Versen an, die sich alle reimen.

Nach der Stalin-Zeit aber, da ist sich auch Dath sicher, beginnt der Verfall. Da wurden „1,5 Millionen wissenschaftlicher Köpfe“ beschäftigt, um „den Lebensstandard der Menschen zu erhöhen“; die sozialistischen Staaten … setzten, wie man weiß, zu jener Zeit“ (nämlich nach 1956) „längst nicht mehr auf daß Prinzip „Alles in die Prozeßinnovation“, 37. Aber warum war das wohl so? Er fragt es sich nicht.

Über die Sache mit den Bauern schreibt er, das Internet oder was wäre „die radikalste denkbare Verallgemeinerung der Bemühungen etwa Lenins um die Überwindung der Unterscheidung von Land und Stadt“. Lenin meinte damit, die Bauern von ihren Produktionsmitteln zu trennen und zu Lohnarbeitern zu machen, Dath meint Homeoffice. Man könnte einen Partyspass draus machen: jemand liest Lenins Reden vor, die anderen raten, was jemand wie Dath sich dabei denkt.

Ehe jetzt jemand sagt, das sei unsachlich und gehe an dem vorbei, um was es Dath geht: Dath redet ständig von Lenin, der Sowjetunion und der DDR. Er selbst macht das zu einem Hauptpunkt. Er hat noch andere Hauptpunkte, wir kommen dazu, der Abend ist noch jung. Und die sind genauso kokserhaft selbstbezogen und frei von Interesse am Gegenstand. Wir halten ihm das nicht als persönlichen Fehler vor, im Gegenteil, wir halten das für ein Symptom einer ganzen Schule und für gerade die Grundlage seines Erfolgs.

7.
Ein anderer seiner Hauptpunkte ist natürlich die Polemik, die er 31 ff. ausholt, gegen die neoklassische Ökonomie, in Gestalt von Hayek und Mises, der sogenannten österreichischen Schule. Mises hatte in den 1920ern eine Kritik der damals herrschenden sozialistischen Vorstellungen veröffentlicht; und genau die nimmt Dath sich jetzt vor.

Die Kritik namentlich des Mises hat einen Kontext, von dem Dath nichts zu ahnen scheint; sie entspringt nah an dem Punkt, wo der Marxismus von Marx abging. Marx zeichnet, wo er es tut, die sozialistische Gesellschaft mit ganz anderen Zügen, als die Stalinisten es tun; sie geht von der Besitzergreifung der Arbeiter an den Betrieben aus, von dem Austausch der Produkte zuerst nach der aufgewandten Arbeitszeit, nach Abzug der Aufwendungen für gemeinschaftliche Ausgaben; übergehend in Verteilung nach den Bedürfnissen; Verwaltung in der Hand direkt gewählter lokaler Gemeindeorgane.

Um 1900, unter dem Eindruck der mächtigen Entfaltung des modernen Staats und der grossen Industriekonglomerate, verfielen die ersten Marxisten darauf, diese Ideen für einen traurigen Anachronismus zu halten. Hatte nicht Marx selbst geschrieben, dass die Konzentrationstendenz der modernen Industrie den Übergang in den Sozialismus vorbereite? Regierten nicht die Vorstände der grossen Kartelle, der Vorläufer der heutigen Konzerne, ungeheure wirtschaftliche Gebilde, ohne kleinliche Rücksicht auf Geld und Preise in der inneren Organisation?

Bewies das nicht die Möglichkeit, ja Überlegenheit eines Systems, das die Marktwirtschaft hinter sich gelassen hatte und das einem bewussten Willen unterworfen war? Diese Idee faszinierte als ersten Marxisten Hilferding, der als nachmaliger weimarischer Finanzminister lernen musste, wie wenig das System von den Marktgesetzen sich befreit hatte, danach Lenin, der auf die Idee kam, das nunmehr im „organisierten Kapitalismus“ das sogenannte Wertgesetz nicht mehr gälte. Das ist, sagen manche, Revisionismus.

8.
Gegen eine solche Vorstellung von Sozialismus richtet sich die Kritik von Mises, und man kann ihr in den Hauptpunkten nicht widersprechen. Er schreibt, man könne nicht einfach ein Rechnungswesen in Geldeinheiten ersetzen durch eine einfache Verwaltung von Gütern; die Güter zu produzieren kostet andere Güter, und wenn es die sind, die man stattdessen produzieren hätte können und nicht produziert hat; gerade eine planmässige Produktion und Verteilung von Gütern verlange einen allgemeinen Nenner für diese Güter, in dem diese Kosten richtig abgebildet werden. Man könne natürlich, wenn man die Macht dazu hat, auch ohne einen solchen wirtschaften; aber man könne sich dann nicht darauf berufen, planmässig zu wirtschaften. Ich paraphrasiere.

Denkt man sich alle Kartelle, oder wie man heute sagen würde Konzerne, schlussendlich konzentriert zu einem; denkt man sich dieses schliesslich verstaatlicht in einem von der Arbeiterklasse beherrschten demokratischen Staat; so hat man Karl Kautskys Idee vom Sozialismus. Aber auf welchem allgemeiner Nenner beruht dessen Wirtschaftsrechnung? Die herrschende Produktivkraft soll die Arbeiterklasse sein, also wäre die richtige Einheit die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, die in jedem Produkt steckt.

Nun sieht sich aber Kautsky, vermutlich zu Recht, ausserstande, anzugeben, wie der jetzige Vorstand dieses Generalkartells in der Lage sein soll, diese zu bestimmen. Warum, ist nicht unmittelbar klar, auch wenn es plausibel ist. Damit ist aber jede genuin sozialistisch Möglichkeit einer Wirtschaftsrechnung ausgeschlossen. Fertig ab.

Soweit die hier referierte Kritik reicht, gibt es kein Gegenmittel. Die Alternative zum konzentrierten Kapitalismus ist dann zwangsläufig wieder der konzentrierte Kapitalismus. Genau soweit hier geplant und gerechnet wird, genau soweit wird in Geld gerechnet werden; und genau soweit wird das Geld genau die Eigenschaften haben wie in Marxens „Kapital“.

9.
Sehen wir zu, wie Dath die Sache anfasst. Es ist sehr interessant. Er nimmt sich statt deren richtiger Kritik ihre unsinnige eigene Ideologie vor. Er macht es sich leicht. Aber gut: wenn es denn der Wahrheitsfindung dient! Die Östreicher behaupten, referiert er, der Markt könne „Angebot und Nachfrage am besten regeln, weil er das eben immer und bei allem, was Menschen brauchen und verbrauchen, am besten kann“, 33. Haben die Östreicher das gesagt? Das wäre sehr dumm.

Das heisst „eine Planwirtschaft könne die Produkte und Leistungen nicht ordentlich gegeneinander aufrechnen, weil sie keine triftigen Preise ermitteln könne. Das heißt, … sie muß die Preise willkürlich festsetzen, weil ihr Informationen fehlen, die ein Markt sammelt, prozessiert und dann als neue Preise wieder ausgibt.“ Der Markt tut nichts dergleichen. Ich weiss nicht, ob die Östreicher sagen, dass er es tut. Es wäre unsinnig. Der Markt hat keinen Apparat, er sammelt keine Informationen, noch weniger verarbeitet er sie, noch weniger wirft er ein Ergebnis aus, und das Ergebnis ist auch nicht sinnvoll. Der Markt ist regulierte Fehlallokation von Ressourcen. Niemand, den man ernst nimmt, behauptet etwas anderes.

Dath behauptet etwas anderes. Er betrachtet Markt als ein Programm. Er spricht von „Marktprozessorleistung“ und den „spontanen Iterationen“ der Preisbildung; und diskutiert in einiger Länge, ob es mit heutigen Mitteln möglich wäre, diese Prozessorleistung zu übertreffen. Der Markt, läßt er die Östreicher sagen, „verarbeitet Daten schnell genug, um anderen Systemen gegenüber uneinholbar im Vorteil zu sein. Um eine solche Behauptung zu überprüfen, bedient man sich 2014 der Automaten- und Algorithmentheorie“, 40; „Sparsames Wirtschaften verlangt sinnvollerweise, daß man für jede Rechnung … das jeweils einfachste Programm einsetzt“, 41; „Was Hayek und Mises eigentlich sagen, ist folglich dies: Der Markt ist ein algorithmisch irreduzibles Programm für den richtigen, energetisch nicht defizitären Ausgleich von Angebot und … Nachfrage. … Die einfachste …adäquate Simulation des Marktgeschehens … wäre nach Ansicht dieser beiden Denker stets mindestens so lang und breit wie der Markt selbst“, 42. Dann gibt er S. 42 den Kampf eigentlich auf („daß es irreduzible Programme wirklich gibt“) und wechselt das Thema. Was der Gebrauchswert einer Simulation des Marktgeschehens wäre, erfährt der Leser nicht.

Vier Seiten weiter fällt ihm ein, dass er den Kampf vorhin zu Unrecht aufgegeben hat: „nach dem Stand des Wissens von 2014“, „aus gegenwärtiger Netzwerkperspektive“ müssen „Sozialismus und Kommunismus“ nicht mehr „um zu funktionieren, stets wissen, wann und wo Susi ein Zitroneneis haben will“, 46, nämlich vermittelst der Stochastik, die die Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis angibt. Wie gelangen aber Veränderungen der Nachfrage in eine solche Rechnung? Wo werden sie erhoben? Von wem gewichtet? Das wäre doch die wichtige Frage, wenn es um die Ersetzung des Markts geht.

Wieder einige Seiten später schafft er dann jählings doch noch, vermittelst eines „niederschmetternden Ergebnisses“, 49, das niederschmetternde Ergebnis der bisherigen Darstellung herumzureissen: „Denn der Mathematiker Gregory Chaitin hat in der Tradition der Unvollständigkeits- und Berechenbarkeitsforschung von Kurt Gödel und Alan Turing in den siebziger Jahren zwingend dargelegt, daß man … niemals beweisen“ kann“, daß ein Programm X in einer Sprache für ein bestimmtes Resultat das kürzeste ist, wenn die Struktur dieses Programms oberhalb einer sehr niedrigen Komplexitätsstufe liegt. Die Komplexität eines Resultats … „Kolmogorow-Komplexität“ … läßt sich niemals berechnen. // Nie. Überhaupt nicht. In keinem Fall. … man wird nie sicher sein, daß ein spezifisches Programm das kürzeste …ist, das man laufen lassen kann“, 49 f.

Damit, sagt er, ist bewiesen, dass es nicht bewiesen werden kann, dass ein effizienteres Programm als der Markt unmöglich ist. Die Nichtbeweisbarkeit der Unmöglichkeit, den Markt zu simulieren: das ist ein prächtiger Fels, um die Kirche des Kommunismus darauf zu bauen.

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Das Elend kommt auch daher, nicht klar ist, was man unter Markt versteht. In der engsten Bedeutung des Worts, die zum Vorschein kommt, wenn wir z.B. den erstaunlichen Schwarzmarkt mit Produktionsmitteln in der Sowjetunion betrachten, zeigt er sich als ein reines und unhintergehnbares Zahlenverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Als dieses Verhältnis ist es sinnlos, so zu tun, als hätte er einen Apparat, der Informationen ermittelt und prozessiert, und es ist absurd, sich Gedanken über eine Emulation zu machen.

Wenn man den Markt in der weiteren Bedeutung des Wortes als ein die gesellschaft übergreifendes Verhältnis betrachtet, dann ist das, was wir ihm als seinen Apparat und Prozessor zuschreiben müssen, die gesamte Gesellschaft, und zwar über den Kreis der sogenannten Marktteilnehmer hinaus. Stellen wir uns sogar die Menschen in patriarchalen Familien lebend vor, die Väter als Familienoberhäupter den Austausch nach aussen monopolisierend, dann wird sofort klar, dass eine „Simulation… des Marktgeschehens“, die in der Tat nur das Marktgeschehen simulierte, nicht „adäquat“ wäre. Die Marktteilnehmer betreiben eine jeweils vom Markt abgetrennte Eigenwirtschaft.

Noch viel schlimmer. Wenn man den Markt als einen Apparat zur Informationserhebung betrachtet, kommt man nicht drum herum, die kuriose Form zu bemerken, wie diese Informationen in ihn eingegeben werden, nämlich durch Kaufpreiszahlung. Man könnte das mit einem Begriff aus der Spieltheorie costly signalling nennen; die Marktteilnehmer geben zu verstehen, dass sie ihren so angemeldeten Bedarf für wichtig halten, indem sie dafür Verzicht auf andere Bedürfnisse nicht nur erklären, sondern direkt ausüben usw.

Es gibt aber, und das ist der Hauptmangel an allen diesen Überlegungen, gar keinen Adressaten, an das diese Signale gerichtet sind. Der Händler ist es z.B. nicht. Den interessiert nicht, dass ich durch Kaufpreiszahlung einen Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht leiste. Und der theoretisch richtige Adressat wäre die Gesellschaft, die ist aber ein Abstraktum, und niemand hat sie jemals von Angesicht gesehen. Anderslautende Berichte sind in der Regel stark übertrieben.

Die Idee, das zu emulieren durch eine Stelle, die die Gesellschaft vertritt, ist 5.000 Jahre alt und hat uns noch nicht zum Sozialismus geführt. Daths Neuerung wäre, dass sie ergänzt oder S. 46 überflüssig wird durch einen Prozess, in dem Bedürfnisse auf andere Weise geltend gemacht werden, aber das ist genau betrachtet der einfachere Teil. Der schwierige Teil, über den er kein Wort verliert, ist die Ordnung und Gewichtung dieser Bedürfnisse. Denn was wird herauskommen, wenn man die wirklichen Bedürfnisse erhebt? Ungeheuer viele Bedürfnisse, die bisher ganz einfach ignoriert werden, von der Gesellschaft und sogar von den Bedürftigen selbst. Und die Unterdrückung dieser Bedürfnisse wird unter dem Markt selbsttätig in der Eigenwirtschaft der Marktteilnehmer geleistet. Möchte Dath lieber diese, einschliesslich patriarchaler Familie, beibehalten, oder zieht er es vor, das der zentralen Planbehörde aufzuladen?

11.
Das ärgerlichste an der Arbeit, so etwas zu rezensieren, ist, dass Dath in stets gleichbleibendem Abstand um der Grundproblem herumtanzt, so als ob er es kennte; während allen seinen Äusserungen zu entnehmen ist, dass er gar nicht weiss, dass es überhaupt eins gibt. Bringen wir seine Logik also einmal in Kollision mit einer völlig anderen.

„Die vernichtende Kritik der Weber und Mises am Kommunismus, hat in Wirklichkeit des Studium der kommunistischen Oekonomie über den toten Punkt hinweggeholfen, und auf realen Boden gestellt. Sie haben die Geister wachgerufen, die sich nicht mehr beschwören lassen, denn es wird nun möglich, die Marx’schen Gedankengänge in bezug auf die gesellschaftliche durchschnittliche Arbeitszeit weiter zu verfolgen,“ heisst es in der Arbeit „Grundsätze der kommunistischen Produktion und Verteilung“ der niederländischen Gruppe Internationaler Kommunisten 1930, 29.

Die Niederländer stützen sich auf die wenigen Skizzen, die Marx vom Übergang zum Kommunismus gegeben hat, und entwerfen in der Tat eine Wirtschaft, deren Rechnungsführung auf der gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitszeit beruht. Aber war nicht gerade, wenn auch wenig überzeugend, gesagt worden, dass man diese gar nicht ermitteln kann? Nein, man kann sie natürlich ganz einfach ermitteln: jeder Betrieb hat ein sehr genaues Bild davon, jedenfalls unter der Voraussetzung, dass er von den Arbeitern selbst geführt wird, und unter Anwendung der (damals völlig neuen) betriebswirtschaftlichen Selbstkostenrechnung. Aus den von den betrieblichen Durchschnitten kann ein gesellschaftlicher Durchschnitt gebildet werden, an dem die Betriebe sich dann natürlich messen lassen müssen.

Das ist, sagen sie 109, etwas völlig anderes, als wenn eine Zentralbehörde die gesellschaftliche notwendige Arbeitszeit pro Produkt zu ermitteln versucht, was in der Tat unmöglich ist. Sie begründen das nicht weiter, weil die damaligen Staatssozialisten diesen letzteren Punkt schon eingeräumt hatten: in der Sowjetunion hatte es keinen Versuch zu einer solchen Erhebung gegeben. Neuerdings wird gelegentlich behauptet, das wäre durch die moderne Datenverarbeitung widerlegt; aber das Problem liegt bei der Erhebung der Daten. Alle solche Behauptungen scheinen sich auf die Arbeit „Towards New Socialism“ von Cockshott und Cottrell 1993 zu stützen. Aber dort wird, was immer über den Rest der Arbeit zu sagen ist, S. 50 ff. genauso verfahren wie bei den Niederländern.

Man sollte sich vielleicht gegenwärtig machen, wo das Problem liegt. Ehe es die erste Wirtschaftswissenschaft gab, waren solche Fragen Gegenstand des Naturrechts und auf merkwürdige Weise der Theologie; die Frage war dann die, wer ein Anrecht auf Aneignung bestimmter Erträge hat. Die Arbeit in der Gesellschaft war nie eine einfach zu zerlegende Addition von Einzel- oder Privatarbeiten, sondern diese fliessen unterschiedslos ineinander wie Wasser in einem Fluss; die Niederländer sprechen von „Produktenstrom von Betrieb zu Betrieb“, 36, aber noch mehr innerhalb des Betriebs.

Das gesellschaftlich erzeugte Mehrprodukt tritt an irgendeiner Stelle zu Tage; wo, hängt von der Struktur der Gesellschaft ab; es ist recht zufällig. Diese Stelle gilt dann natürlich als Eigentümerin, das heisst als Stelle, der man den Ertrag zurechnet; dem Eigentümer eines Grundstücks z.B. steht der Ertrag der Arbeit auf diesem Grundstück zu. Die ganze Eigentumsverfassung, die ganze Staatsordnung (und die ihr entsprechende Theologie) sind natürlich gesellschaftliche Antworten, das Problem zu lösen, wem das gesellschaftliche Mehrprodukt zusteht, und sie sind allesamt im Grunde völlig willkürlich. Warum gab es sie? Weil es eine objektiv einsichtige Zurechnung gerade nie gab.

12.
Das ist innerhalb der Betriebe nicht viel anders, wie gerade die Niederländer unwissentlich beweisen. Ihr System ist ansonsten sehr schön ausgearbeitet und liefert zwischen den Betrieben und der Gesellschaft tatsächlich ein transparentes, einsichtiges Verhältnis; es ist fast unheimlich, wie einfach ihnen das gelingt. Aber sie erreichen es vermöge der von den Arbeitern anzuwendenden Selbstkostenrechnung, d.h. modernen betriebswirtschaftlichen Kalkulation. Dagegen ist zwar nichts zu sagen, aber diese beruht natürlich darauf, dass man das Betriebsganze rechnerisch zerlegt in einzelne Zurechungspunkte, sogenannte Kostenstellen, und diesen auf sinnvolle Weise Kosten zurechnet.

Auf ähnliche Weise rechnet man den verschiednen Produkten zu, welche Kosten sie tragen sollen. Das ganze nennt man Kostenmodellierung, und wie der Name sagt, ist es ein Modell. In solchen Modellen steckt beliebig viel Willkür, die einzige Anforderung ist, dass es sinnvolle Ergebnisse liefert; welche das sind, zeigt der praktische Vollzug und der wirtschaftlich Erfolg. Das ganze ist eigentlich nichts anderes, als was das Eigentum in der alten Gesellschaft darstellt: Ertragszurechnung. Und das ist kein Problem der Niederländer, sondern wenn man die ganze Wirtschaft als ein grosses Unternehmen auffasst, ist man genauso genötigt, sie hernach in Kostenstellen aufzutrennen, das heisst in voneinander unterschiedne Betriebe, deren Austausch untereinander durch ein generalisiertes objektives Medium vermittelt ist.

Jeder vernünftigen Erhebung der nötigen Daten liegt ein Moment von Willkür zugrunde, das sich nicht beseitigen, sondern sich nur innerhalb bestimmter basaler Einheiten nivellieren oder renormieren lässt. Es ist einfach die Frage, wer diese Willkür ausübt, d.h. wer die Urteile trifft; und was dann weiter geschieht, das heisst wie der Gesamtprozess mit dem unvermeidbaren Fehler umgeht. Und hier haben die Niederländer das Problem zumindest sehr richtig aufgefasst.

Die Einschätzungen der Betriebe sind natürlich alle falsch in dem Sinne, dass es gar nicht möglich ist, die zu erfassende Grösse einfach wie von einem Zähler abzulesen. Die Grösse gibt es in einem bestimmten Sinne gar nicht objektiv. Aber im weiteren Prozess kürzen sich, so ist es jedenfalls gedacht, die Fehleinschätzungen wieder heraus; die Betriebe haben z.B. nichts davon, ihre Daten zu hoch oder zu niedrig anzusetzen, weil ihr Output ihnen nach dem gesellschaftlichen Durchschnitt ersetzt wird; im Grunde ist das ganze nur sinnvoll möglich, weil die Betriebsführung und die betriebliche Arbeit von denselben Leuten, und zwar in einer abgrenzbaren Einheit geleistet wird: also in arbeitergeführten Betrieben

13.
Die Niederländer schreiten schnell weiter fort: aus der hergestellten Produktenmenge entnehmen zunächst die produktiven Betriebe alles, was sie für Reproduktion des Betriebs brauchen, also Ersatzteile und Rohstoffe; hernach die Gesellschaft, wer immer das ist, alles, was sie zum Betrieb des zweiten Sektors der Ökonomie braucht, der öffentlichen Betriebe, deren Produkte und Dienstleistungen kostenlos vergeben werden. Die übrige Gütermenge steht für den Verbrauch der Arbeiter zur Verfügung. Für die geleistete Arbeit erhält man Nachweise; die gesellschaftlichen Aufwendungen für Reproduktion und öffentlichen Sektor, als Abzüge von der Gesamtarbeit, werden pro Arbeitsstunde heruntergerechnet. Betriebliche Erweiterungsinvestitionen und öffentliche Arbeiten werden als Konten im öffentlichen Sektor geführt; es rechnet sich alles vortrefflich, und die ganze gesellschaftliche Tätigkeit ist leicht begreiflich und völlig transparent durch das „große, alles beherrschende Band, welches den einzelnen Betrieb mit der übrigen Wirtschaft vereinigt“, 101.

Auf der Grundlage, natürlich, der Betriebe als Elementarform, innerhalb derer das nicht in derselben Weise gilt, wie gesehen; und natürlich verzerrt durch einen Umstand, auf den sei keine Antwort gefunden haben, nämlich die ganze Dimension des Naturstoffs und Gebrauchswerts. Denn wodurch ist eigentlich garantiert, dass die Produkte, die zum Verbrauch übrigbleiben, auch das sind, was die Leute wollen? Nur dadurch, dass die Betriebe auf die tatsächliche Abnahme der Produkte angewiesen sind. Das Urteil über dan Gebrauchswert des Produkts ist Sache der Eigenwirtschaft der Gesellschaftsglieder.

Und auf dieser Grundlage würde sich, weil der Gebrauchswert bekanntlich etwas mit dem Naturstoff zu tun hat, alsbald wieder eine Grundrente bilden. Zwei Produkte von vielleicht völlig gleichem Gehalt an Arbeit, nehmen wir zwei Weine, einmal Markt Nordheimer Scheunengiebel, einmal Grand Cru, würden völlig unterschiedlich abgenommen, und es würden sich Zustände bilden wie im Apple-Laden: Schlangestehen, oder Spekulation, dh Hortung und Verkauf zu Schwarzmarktpreisen. Das bedeutet: es hat sich eine Differentialrente gebildet, die von dem erstbesten Schlaumeier angeeignet wird. Der Arbeitsnachweis, der kein Geld ist, siehe Marx soundso, verwandelt sich schwuppdiwupp trotzdem in Geld, und die schöne transparente Synthesis ist auch beim Teufel,

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Dafür gibt es nur die Lösung, dass die Grundrente am ersten Ort, wo sie fassbar wird, erhoben wird, nämlich bei der Grundlage des Naturstoffs, dem Boden, d.h. bei dem dortigen Gemeinwesen selbst. Das heisst: die Gemeinden haben selbst eine notwendige ökonomische Basis, nämlich das Bodenrecht. Wenn sie es nicht haben, bekommt es alsbald ein anderer, und es ist unmöglich vorherzusagen wer. Die Grundrente muss aber unglücklicherweise als Teil der Rohstoffkosten auch in den Endpreis eingehen, aber sie ist eben selbst nicht Abbild einer real geleisteten Arbeit, sondern eine völlig intransparente Art, sich gesellschaftliche Arbeit anzueignen; und zwar einen unterschiedslosen Anteil der gesellschaftlichen Arbeit. Und auch auf diese Weise kommt heraus, dass das Nicht-Geld doch wieder Geld ist.

Eine andere Art sogenannter Gebrauchswertökonomie, mit der man um so etwas herumkäme, ist nicht ohne weiteres möglich; man wäre wieder, wo man angefangen hat, beim Mangel eines allgemein gesellschaftlichen Nenners der Produkte, bei einer rein administrativen Wirtschaft; man kann so etwas grundsätzlich, um es zu wiederholen, betreiben, aber man kann nicht so tun, als ob es auf rationeller Rechnung und Planung beruht, usw. wie vom Anfang. Und wir haben hier nur die gröbsten Schwierigkeiten benannt.

„We do not wish to deny there is a problem here“, sagen Cotterell und Cockshott, Calculation, Complexity And Planning, 1993, 10; aber eine richtige Lösung fällt ihnen nicht ein. Man muss dazu sagen, dass diese beiden Autoren nach wie vor die entscheidenden Leute im ganzen neueren Computersozialismus sind; auch Dath zitiert sie S. 9. Sie haben dem Rest der Branche voraus, dass ihnen die Probleme der Wirtschaftswissenschaften, der Datenverarbeitung, und wenn auch durch einen leninistischen Filter auch einige der Gesellschaftstheorie bekannt sind; aber auch sie wissen es nicht besser, als dass sie bei einer zentralen Behörde landen, die im Grunde Preispolitik treibt.

Der zentrale Vorzug an der Idee der Niederländer ist die Einsicht, dass ein Gesellschaftszustand nur dann gehalten werden kann, wenn er sich nach seiner eigenen Logik selbst wieder herstellt; dass ein Kommunismus, der nur mühsam durch Enthusiasmus, Ideologie oder Staatstätigkeit aufrechterhalten werden kann, nichts nütze ist. Das wirkliche Verhalten seiner Mitglieder muss seine Grundlagen immer neu befestigen, statt dass diese Grundlagen durch besondere Anstrengung dagegen verteidigt werden müssten. Ein Kommunismus, der nur mit überzeugten Kommunisten funktionieren würde, ist nicht einmal die geringe Mühe wert, die es kostet, ihn sich auszudenken; in Wirklichkeit müsste er funktionieren auch dann, wenn er aus gottesfürchtigen und königstreuen Almbauern bestünde.

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Und hier kommen wir zu einem weiteren Hauptmangel an Daths Argumentation. Der Gesellschaftszustand, auf den er offenbar hinwill, stützt sich sehr auf das, was die moderne Datenverarbeitung in den bestehenden Produktionsverhältnisses bereits leistet; es ist natürlich schwer, davon abzugrenzen, welche Rolle sie stattdessen spielen soll. In einer ganz ähnlichen Stellung war die Sozialdemokratie um 1900 gegenüber dem plötzlich entdeckten „organisierten Kapitalismus“. Dath möchte, das erklärt er z.B. 29, 56, 68 ff., auf gar keinen Fall enden wie Hilferding; die Gesellschaft wächst keinesfalls durch die Entfaltung der Produktionsmittel in den Sozialismus hinein, sondern dazu bedarf es eines politischen Akts. Sie stellt aber durch jene Entfaltung die Möglichkeit dieses politischen Akts zur Verfügung; darauf besteht er.

Wo dieser politische Akt aber herkommen könnte, das lässt sich nicht angeben. Dath tut gut daran, andauernd Lenin zu zitieren; dem ging es nicht viel anders. Dath führt auf äusserst abstrakte Art ein sehr unhandliches Prinzip in seinen Gesellschaftsentwurf ein, indem er S. 12 umständlich erst vier Zeitsorten unterscheidet, eine davon Arbeitszeit; um dann die Unterscheidung der drei anderen in Vergessenheit geraten zu lassen und lediglich eines davon zu behalten, nämlich das sogenannte Umbuchungsverbot, S. 15: „Niemand darf in diesem Gemeinwesen über die Arbeitszeit einer anderen Person so verfügen, daß damit ein Zugewinn an Konsumzeit, politischer Zeit oder unbestimmter Zeit für diejenige Person erwirtschaftet wird, die fremde Arbeitszeit kommandiert und ihre Ergebnisse anwendet.“

Wer dieses Verbot umsetzt, welche gesellschaftliche Macht es überhaupt durchsetzt und aufrechterhält, das sagt er nicht. „Wer die Regeln nicht befolgt, sortiert sich selbst aus dem Sozialen“, sagt er zwar, 15; aber wie genau? Je äusserlicher das Verbot, desto äusserlicher die Gewalt, die es stützt.

Für sich genommen würde so ein Verbot Gefahr laufen, abstrakt und allein im reissenden Strom der gesellschaftlichen Praxis zu stehen und umgerissen zu werden; weswegen aber zum Glück allerhand Löcher angebracht sind. Denn dieses kommunistische Zinsverbot erlaubt völlig jede noch so despotische Verfügung über Arbeit ohne direkte persönliche Bereicherung. Es ist schon kurios, der Tatbestand verlangt nach einem despotischen Wächter, aber das Loch im Tatbestand hat die Form und Ausmasse der Wirtschaft Stalins.

Es ist also im Grunde nichts anderes, als eine hübsch moderne Neufassung dieser Propagandaphrase der Stalinisten, dass in ihrem Sozialismus keine Ausbeutung bestünde, weil kein Privateigentum an Produktionsmitteln; und dieses nicht, weil die Produktionsmittel keine Waren; und das Geld kein richtiges Geld, weil es nicht in Kapital umgesetzt werden könne usw. Und dieses Ding, das phantastische Umbuchungsverbot, ist im Grunde alles, was seinen zukünftigen Kommunismus unterscheidet von unserem heutigen Kapitalismus.

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Das merkwürdigste an allen diesen Vorstellungen ist, dass sie alle verschwiegen ihr eigenes Gegenteil schon in sich tragen. Eine geldlose Planökonomie, deren Möglichkeit ausführlich bewiesen wird; aber so nötig ists dann doch nicht mit der Geldlosigkeit, S. 78 f. Die Behörden werden natürlich gewählt, aber: „Der Sozialismus als Bewegung wie als Machtinstrument … muß nicht die Abstimmung als Weg zur Unerpreßbarkeit“, ein Lieblingswort Daths, „etablieren…, sondern umgekehrt diese Unerpreßbarkeit mittels Gewaltmonopol durchsetzen“; was nichts anderes heisst als Erziehungsdiktatur; wir finden, dass er auf jede Frage zwei gegensätzliche Antworten gibt.

Es scheint, als spricht er manchmal wie ein Stalinist zu Stalinisten, manchmal wie ein Software-Entwickler zu Software-Entwicklern, manchmal wie ein bürgerlicher Intellektueller zu Intellektuellen; und mehr als einmal hat man das Gefühl, dass er das bewusst nutzt, um zu vermeiden, klare Aussagen zu treffen. Er kann jederzeit die Rolle wechseln, wenn ihm der Kittel zu brennen beginnt; er hat buchstäblich zwei Gesichter.

Er spricht dabei immer aus der einzigen Perspektive, aus der alles das kein Widerspruch ist: aus der Perspektive einer Leitungsposition. Körperliche Arbeit kommt kaum vor; wenn er Beispiele für Arbeit braucht, fallen ihm nur Genie-Leistungen ein, S. 13.

Um so überraschender S. 83 ff. seine umfassende Kritik des Denkens und der politischen Haltung der kleinbürgerlichen Intellektuellen. Diese Kritik ist klassisch marxistisch-leninistisch, und sieht schnell aus wie eine unfreiwillige Selbstkritik. Aber ehe man noch sagen kann: das gleiche wollt ich auch sagen, setzt er noch rasch dazu, dass natürlich auch er einer sei und das alles für ihn gelte. Was aber folgt für ihne daraus? Dass man alles vergessen kann, was er sagt?

Sollte man meinen, aber der Dreh ist ein andrer. Wenn alle, der Schreiber und die Leser, kleinbürgerliche Intellektuelle sind, dann gilt für alle, dass die Ideen, die sie im Kopf haben, falsch sind; dass sie aus ihrem eigenen Klassenbewusstsein unmöglich richtige Ideen selbst finden können; dass sie also nie aus eigener Kraft, sondern nur durch Anlehnung an eine autoritativ richtige Linie etwas zum Sozialismus beitragen. Und die garantiert richtige Linie sind natürlich die Lehren der Klassiker, auch wenn, wie wir wissen, diese selbst Ideen von Kleinbürgern sind, aber geheiligt durch den Weltgeist, den Kleinbürger-Gott.

Nichts daran ist plausibel, aber eine hervorragende Leimrute für mit sich selbst hadernde Intellektuelle, die aber doch gern entscheidendes zur Revolution beizutragen hätten, wies ihnen immer beigebracht worden ist.

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Verrückterweise ist es das, was Dath in die Lage bringt, mit zwei Zungen zu sprechen; gegen den vollen Ernst der einen Art zu reden kann er jederzeit an die andere Art der Rede appellieren, die er gleichzeitig führt. Er versteckt sich hinter der eigenen Unehrlichkeit, indem er zu verstehen gibt, ganz sei ihm nicht zu trauen, jedenfalls ernst sei nichts ganz zu nehmen.

Das ganze ist Rhetorik, sonst nichts. Es ist alles ganz wörtlich gemeint. Das abschliessende Urteil über sein ganzes Vorbringen wird sich auf das stützen, was er sagt; nicht darauf, was er zugibt, dass er sagt. Auf was für ein Programm läuft alles, was er sagt, hinaus? Auf einen Sozialismus, in dem den Intellektuellen, die er gerade als kleinbürgerlich kritisiert hat, die entscheidende Stellung zukommt. Nicht die Arbeiterklasse ergreift die Produktionsmittel, und weist dann den Techniker, den Administratoren, den Gesellschaftswissenschaftlern etc. dann allenfalls ihre Plätze an; sondern ganz im Gegenteil, diese verfügen, und das Proletariat wird sich danach zu richten haben.

Man tut gut daran, ihm nicht einmal die Propaganda gegen das Elend zu glauben. Sie steht in zu schiefem Verhältnis zu dem völligen Schweigen übers Elend unter dem sowjetischen Sozialismus; sie ist zu offensichtlich auf Effekt berechnet, als dass sie ehrlich sein könnte. Abschaffung des Elends kann Dath mit seinem Programm nicht versprechen.

Auf welche Weise es wirklich gehen kann, wird sich auf andere Weise zeigen müssen. Es ist auch mit der kurzen Rezension hier noch gar nichts endgültiges gesagt; man wird sich im Gegenteil die Sache in Zukunft genauer ansehen müssen. Wir haben hier nur ein paar Proben von den Methoden und Blickwinkeln gegeben, unter denen wie vorhaben, das zu tun. Es kann sich leicht zeigen, dass noch ganz andere Fragen zu stellen sind. Das ist das Ergebnis der Sache nach. Im Hinblick auf den Vorwand, nämlich Daths Buch, ist wenig zu sagen, ausser dass es keine einzige Frage beantwortet, weil es keine einzige stellt.

2

Die amerikanische Verfassungskrise I

Das hier ist auch ein Nachgang zu der kurzen Einführung in „Staat oder Revolution“ Bd. II letzten Samstag im Garten der TU Berlin. Dort ging es u.a. darum, wie die liberalen Demokratien des sogenannten Westens entstanden sind, und auf welcher Grundlage. Wieviel von dieser Grundlage noch übrig ist, zeigt uns vielleicht die nächste Zeit; The Atlantic hat eine ausführliche staatsrechtliche Analyse.

“Our Constitution does not secure the peaceful transition of power, but rather presupposes it,” the legal scholar Lawrence Douglas wrote in a recent book titled simply Will He Go?

Wer 1999 schon dabei war, erinnert sich an Bush v. Gore und die juristische und politische Schlacht um die Wahlauszählung in Florida. Es ist argumentiert worden, dass sich im Effekt durch den Ausgang der Wahl gar nicht so sehr viel geändert hat; vor allem hat die Verfassungs sie ja auch anscheinend überstanden. Es kann diesmal sehr leicht anders kommen, die Verfassungskrise kann zu einem Punkt eskalieren, wo sie juristisch nicht mehr lösbar wird: zu völligem Verfassungsversagen.

If we are lucky, this fraught and dysfunctional election cycle will reach a conventional stopping point in time to meet crucial deadlines in December and January. The contest will be decided with sufficient authority that the losing candidate will be forced to yield. Collectively we will have made our choice—a messy one, no doubt, but clear enough to arm the president-elect with a mandate to govern.

As a nation, we have never failed to clear that bar. But in this election year of plague and recession and catastrophized politics, the mechanisms of decision are at meaningful risk of breaking down. Close students of election law and procedure are warning that conditions are ripe for a constitutional crisis that would leave the nation without an authoritative result.

Es ist ja nach Ausgang der Wahl in einigen Staaten (es sind übrigens derselben, in denen Trumps Regierung in den letzten Monaten innere Spannungen schürt) möglich, dass ein verbindliches Wahlergebnis nicht erreicht wird, genauer gesagt: dass ein solches Ergebnis vereitelt und hintertrieben werden kann.

Trump’s state and national legal teams are already laying the groundwork for postelection maneuvers that would circumvent the results of the vote count in battleground states. Ambiguities in the Constitution and logic bombs in the Electoral Count Act make it possible to extend the dispute all the way to Inauguration Day, which would bring the nation to a precipice. The Twentieth Amendment is crystal clear that the president’s term in office “shall end” at noon on January 20, but two men could show up to be sworn in. One of them would arrive with all the tools and power of the presidency already in hand.

“We are not prepared for this at all,” Julian Zelizer, a Prince­ton professor of history and public affairs, told me. “We talk about it, some worry about it, and we imagine what it would be. But few people have actual answers to what happens if the machinery of democracy is used to prevent a legitimate resolution to the election.”

Keine Rechtsordnung ist ganz ohne Inkonsistenzen, natürlich, denn keine Verfassung ist völlig als System von Rechtssätzen beschreibbar. Die amerikanische Verfassung hat bisher damit leben können. Viel ist durch sogenannte norms erfasst; man kann es nicht mit Normen übersetzen, eher mit Gepflogenheiten. Bestimmte Regeln, an die man sich hält, gerade damit aus einer Wahl keine Verfassungskrise wird:

The ritual that marks an election’s end took its contemporary form in 1896. On the Thursday evening after polls closed that year, unwelcome news reached the Democratic presidential nominee, William Jennings Bryan. A dispatch from Senator James K. Jones, the chair of the Democratic National Committee, informed him that “sufficient was known to make my defeat certain,” Bryan recalled in a memoir.

He composed a telegram to his Republican opponent, William McKinley. “Senator Jones has just informed me that the returns indicate your election, and I hasten to extend my congratulations,” Bryan wrote. “We have submitted the issue to the American people and their will is law.”

After Bryan, concession became a civic duty, performed by telegram or telephone call and then by public speech. Al Smith brought the concession speech to radio in 1928, and it migrated to television soon afterward.

Like other rituals, concessions developed a liturgy. The defeated candidate comes out first. He thanks supporters, declares that their cause will live on, and acknowledges that the other side has prevailed. The victor begins his own remarks by honoring the surrender.

Concessions employ a form of words that linguists call performative speech. The words do not describe or announce an act; the words themselves are the act. “The concession speech, then, is not merely a report of an election result or an admission of defeat,” the political scientist Paul E. Corcoran has written. “It is a constitutive enactment of the new president’s authority.”

Der grundsätzliche Verfassungskonsens, aus dem heraus beide Kandidaten oder Parteien sich solchen Gepflogenheiten unterwerfen, kommt selbst nicht aus der Verfassung natürlich.

Ich werd nicht alles zusammenfassen, aber die Analyse argumentiert, dass mit jedem Tag, den die Auszählung insbesondere der Briefwahlstimmen nach dem 2.November dauert, die Wahrcheinlichkeit für Verfassungskrisen aller Art steigt.

We are accustomed to choosing electors by popular vote, but nothing in the Constitution says it has to be that way. Article II provides that each state shall appoint electors “in such Manner as the Legislature thereof may direct.” Since the late 19th century, every state has ceded the decision to its voters. Even so, the Supreme Court affirmed in Bush v. Gore that a state “can take back the power to appoint electors.” How and when a state might do so has not been tested for well over a century.

The Trump-campaign legal adviser I spoke with told me the push to appoint electors would be framed in terms of protecting the people’s will. Once committed to the position that the overtime count has been rigged, the adviser said, state lawmakers will want to judge for themselves what the voters intended.

“The state legislatures will say, ‘All right, we’ve been given this constitutional power. We don’t think the results of our own state are accurate, so here’s our slate of electors that we think properly reflect the results of our state,’ ” the adviser said. Democrats, he added, have exposed themselves to this stratagem by creating the conditions for a lengthy overtime.

“If you have this notion,” the adviser said, “that ballots can come in for I don’t know how many days—in some states a week, 10 days—then that onslaught of ballots just gets pushed back and pushed back and pushed back. So pick your poison. Is it worse to have electors named by legislators or to have votes received by Election Day?”

In Pennsylvania, three Republican leaders told me they had already discussed the direct appointment of electors among themselves, and one said he had discussed it with Trump’s national campaign.

Das würde sich mit Notwendigkeit fortsetzen; im Effekt die Wahl zu einer Angelegenheit zwischen den Einzelstaaten reduzieren; dadurch das demokratische Prinzips der Bundesverfassung rückabwickeln. Es gibt keinerlei Verfassungsgarantie dieses Prinzips. Es ist nur einfaches Gesetz und Konsens.

Foley, the Ohio State election scholar, has mapped the ripple effects if Republican legislators were to appoint Trump electors in defiance of the vote in states like Pennsylvania and Michigan. The Democratic governors would respond by certifying the official count, a routine exercise of their authority, and they would argue that legislators could not lawfully choose different electors after the vote had taken place. Their “certificates of ascertainment,” dispatched to the National Archives, would say that their states had appointed electors committed to Biden. Each competing set of electors would have the imprimatur of one branch of state government.

In Arizona, Secretary of State Katie Hobbs, who oversees elections, is a Democrat. She could assert her own power to certify the voting results and forward a slate of Biden electors. Even in Florida, which has unified Republican rule, electors pledged to Biden could meet and certify their own votes in hope of triggering a “controversy or contest” that would leave their state’s outcome to Congress. Much the same thing almost happened during the Florida recount battle of 2000. Republican Governor Jeb Bush certified electors for his brother, George W. Bush, on November 26 of that year, while litigation of the recount was still under way. Gore’s chief lawyer, Ronald Klain, responded by booking a room in the old Florida capitol building for Democratic electors to cast rival ballots for Gore. Only Gore’s concession, five days before the Electoral College vote, mooted that plan.

In any of these scenarios, the Electoral College would convene on December 14 without a consensus on who had legitimate claims to cast the deciding votes.

Wer aber entscheidet dann, wer die wirksam gewählten Elektoren des electoral college sind?

This would be a genuine constitutional crisis, the first but not the last of the Interregnum. “Then we get thrown into a world where anything could happen,” Norm Ornstein says.

Jetzt würde die Sache im neugewählten Kongress weitergehen. Es kommt natürlich drauf an, wie die Wahl ausgeht. Was jetzt kommt zusammenfassen zu wollen ist zwecklos:

Pence, as president of the Senate, would hold in his hands two conflicting electoral certificates from each of several swing states. The Twelfth Amendment says only this about what happens next: “The President of the Senate shall, in the presence of the Senate and the House of Representatives, open all the certificates and the votes shall then be counted.”

Note the passive voice. Who does the counting? Which certificates are counted?

The Trump team would take the position that the constitutional language leaves those questions to the vice president. This means that Pence has the unilateral power to announce his own reelection, and a second term for Trump. Democrats and legal scholars would denounce the self-dealing and point out that Congress filled the gaps in the Twelfth Amendment with the Electoral Count Act, which provides instructions for how to resolve this kind of dispute. The trouble with the instructions is that they are widely considered, in Foley’s words, to be “convoluted and impenetrable,” “confusing and ugly,” and “one of the strangest pieces of statutory language ever enacted by Congress.”

If the Interregnum is a contest in search of an umpire, it now has 535 of them, and a rule book that no one is sure how to read. The presiding officer is one of the players on the field.

Foley has produced a 25,000-word study in the Loyola University Chicago Law Journal that maps out the paths the ensuing fight could take if only one state’s electoral votes are in play.

If Democrats win back the Senate and hold the House, then all roads laid out in the Electoral Count Act lead eventually to a Biden presidency. The reverse applies if Republicans hold the Senate and unexpectedly win back the House. But if Congress remains split, there are conditions in which no decisive outcome is possible—no result that has clear force of law. Each party could cite a plausible reading of the rules in which its candidate has won. There is no tie-breaking vote.

How can it be that Congress slips into unbreakable deadlock? The law is a labyrinth in these parts, too intricate to map in a magazine article, but I can sketch one path.

Suppose Pennsylvania alone sends rival slates of electors, and their 20 votes will decide the presidency.

One reading of the Electoral Count Act says that Congress must recognize the electors certified by the governor, who is a Democrat, unless the House and Senate agree otherwise. The House will not agree otherwise, and so Biden wins Pennsylvania and the White House. But Pence pounds his gavel and rules against this reading of the law, instead favoring another, which holds that Congress must discard both contested slates of electors. The garbled statute can plausibly be read either way.

With Pennsylvania’s electors disqualified, 518 electoral votes remain. If Biden holds a narrow lead among them, he again claims the presidency, because he has “the greatest number of votes,” as the Twelfth Amendment prescribes. But Republicans point out that the same amendment requires “a majority of the whole number of electors.” The whole number of electors, Pence rules, is 538, and Biden is short of the required 270.

On this argument, no one has attained the presidency, and the decision is thrown to the House, with one vote per state. If the current partisan balance holds, 26 out of 50 votes will be for Trump.

Before Pence can move on from Pennsylvania to Rhode Island, which is next on the alphabetical list as Congress counts the vote, House Speaker Nancy Pelosi expels all senators from the floor of her chamber. Now Pence is prevented from completing the count “in the presence of” the House, as the Constitution requires. Pelosi announces plans to stall indefinitely. If the count is still incomplete on Inauguration Day, the speaker herself will become acting president.

Pelosi prepares to be sworn in on January 20 unless Pence reverses his ruling and accepts that Biden won. Pence does not budge. He reconvenes the Senate in another venue, with House Republicans squeezing in, and purports to complete the count, making Trump the president-elect. Three people now have supportable claims to the Oval Office.

There are other paths in the labyrinth. Many lead to dead ends.

Was noch krasser ist, der ganze Verlauf ist durch wissenschaftliche Simulation getestet worden, und das Ergebnis ist nicht besser. Auch das kann man schlecht zusammenfassen:

I hoped to gain some insight from a series of exercises conducted this summer by a group of former elected officials, academics, political strategists, and lawyers. In four days of simulations, the Transition Integrity Project modeled the election and its aftermath in an effort to find pivot points where things could fall apart.

They found plenty. Some of the scenarios included dueling slates of electors of the kind I have described. In one version it was the Democratic governor of Michigan who first resorted to appointing electors, after Trump ordered the National Guard to halt the vote count and a Trump-friendly guardsman destroyed mail-in ballots. John Podesta, Hillary Clinton’s campaign chair in 2016, led a Biden team in another scenario that was prepared to follow Trump to the edge of civil war, encouraging three blue states to threaten secession. Norm-breaking begat norm-breaking. (Clinton herself, in an August interview for Showtime’s The Circus, caught the same spirit. “Joe Biden should not concede under any circumstances,” she said.)
If you are a voter, think about voting in person. If you are at low risk for COVID-19, volunteer to work at the polls.

A great deal has been written about the proceedings, including a firsthand account from my colleague David Frum. But the coverage had a puzzling gap. None of the stories fully explained how the contest ended. I wanted to know who took the oath of office.

I called Rosa Brooks, a Georgetown professor who co-founded the project. Unnervingly, she had no answers for me. She did not know how the story turned out. In half of the simulations, the participants did not make it as far as Inauguration Day.

“We got to points in the scenarios where there was a constitutional impasse, no clear means of resolution in sight, street-level violence,” she said. “I think in one of them we had Trump invoking the Insurrection Act and we had troops in the streets … Five hours had gone by and we sort of said, ‘Okay, we’re done.’ ” She added: “Once things were clearly off the rails, there was no particular benefit to seeing exactly how far off they would go.”

“Our goal in doing this was to try to identify intervention moments, to identify moments where we could then look back and say, ‘What would have changed this? What would have kept it from getting this bad?’ ” Brooks said. The project didn’t make much progress there. No lessons were learned about how to restrain a lawless president once a conflict was under way, no alternative moves devised to stave off disaster. “I suppose you could say we were in terra incognita: no one could predict what would happen anymore,” Brooks told me in a follow-up email.

Ein Kommentar zur Enteignungsdebatte

(wir schmeißen noch was aus der Ausgabe #15 – das GT)

von Seepferd

Seit der „großen Enteignungsdebatte“ ist nicht einmal ein Jahr vergangen, man/frau tut sich schwer, sich daran zu erinnern, wie sie ausgegangen sei. Andere Skandale bewegen mittlerweile die bürgerlichen Medien. Dass der „gute“ Artikel 15 des Grundgesetzes nie in der Geschichte der BRD Verwendung fand, der „böse“ Artikel 14 dagegen praktisch jeden Tag – ist es überhaupt ein Skandal? Vielleicht doch nur ein Missverständnis?

Im Frühjahr war es, als der damalige Jusos-Vorsitzende Kevin Kühnert sich in einer Art Tagtraum verplappert hat und mit seinen Enteignungsphantasien eine heftige Debatte ausgelöst hat. Man/frau diskutierte unter Anderem, ob er damit der alten morschen SPD einen Todesstoß verpasst oder vielmehr ihr geschädigtes Ansehen erneut gerettet und ihr einen weiteren Vertrauenskredit besorgt hat. Das möchte ich an dieser Stelle offen lassen, denn ich habe mir sagen lassen, die Sozialdemokratie ist wie die Religion im Allgemeinen in der kapitalen Gesellschaft unausrottbar; in ihr vermittelte sich etwa – bewusst und willentlich – wenn nicht die Arbeit mit dem Kapital, dann die Gesellschaft mit dem Staat oder so ähnlich. (1) Und würde sie in ihrer jetzigen Form zusammenbrechen, fänden sich in unerwarteten Winkeln und Ecken der Linken Kräfte für ihre Wiedererrichtung. Das glaube ich gerne und könnte schon Wetten abschließen, welche bekannten Gesichter der „radikalen“ Linken sich da zusammenrotten würden.

Wie auch immer, für Kevin hat es sich gelohnt, er hat‘s zum SPD-Vizen geschafft. Auch andere Jusos-Leute haben die Parteispitze mehr oder weniger scharf von links kritisiert, das ist wohl ihre Funktion innerhalb der Partei. Nahles tat es, Schröder auch, so auch werte Genossin Johanna Ueckermann, die übrigens als die einzige mir bekannte Person bewiesen hat, dass man/frau nach einem Studium der Geisteswissenschaften an der Universität Würzburg durchaus noch Karriere machen kann. Manche Jusos-Leute haben es damit weit gebracht, egal, ob es eine Masche oder (damals) ernst gemeint war. Ich wünsche dem sozialistischen Träumer und Kämpfer für Belange der werktätigen Massen Kevin Kühnert jedenfalls viele weitere Erfolge.

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Kurzes Update Belarus

Russland zieht die Truppen, die für den eventuellen Notfall an der Grenze zwischen den Staaten versammelt wurden, erstmal ab. Dafür sind wieder Kredite für Belarus genehmigt worden. Bedeutet das wirklich, dass die Lage als „ungefeährlich“ eingeschätzt wird? Dass Lukaschenko sie selber bewältigen kann?

In der Tat, unzähligen Meldungen in „sozielen Netzwerken“, auf oppositionellen Telegram- und Twwitter-Kanälen nach, der erste Schock, in den die Massenproteste die Herrschaft versetzt haben, scheint vorbei zu sein. Dramatische Bilder, auf denen Spezieleinheiten der Polizei hautsächlich den friedlichen Protest der Frauen auseinanderknüppelt, gingen um die Welt. Viele BeobachterInnen vor Ort aber weisen darauf hin, dass die Polizeikräfte immer dreister werden. Sie verstehen sehr wohl, dass sie von Bildern, gemeinsamen Singen, Fahnenschwenken, friedlichen Kundgebungen und Frauen in weißen Gewändern nichts zu befürchten haben.

Wie zwingt man aber die Jungs mitten in einer Auseinandersetzung zum geordneten Abzug? Man zieht ihnen die Masken ab.

Die Vorstellung, dass ihre Gesichter bekannt werden, scheint sie sehr zu beeindrucken. Das ist momentan das einzige, was sie beeindruckt. Also hat man angefangen, die Daten zusammen zu suchen und den sportlichen Jungs wieder Gesichter, Adressen und Telefonnummern zu geben. (Auf Telegram: @terroristybelarusi, @belarusassholes, @terroristybelarusii und @fuckyouomon).

Jemand hat mal solche Situationen mit dem Fahrradfahren verglichen: beide Seiten wissen ganz genau, wer als ersteR ausfhört, wird fallen. Beiden Seiten ist klar, dass man nach dem Fallen nicht mehr aufstehen wird. Umso erbitterter kämft die Seite, die viel zu verlieren hat. Wie weit kann die andere Seite mitziehen, bleibt abzuwarten.

Indes kommen interesante Hinweise auf die Stimmung bei den Polizeitrupps. Sie flashen gerne Hl. Georgs-Schleifen auf der Uniform, die unserer Leserschaft bereits aus der Ostukraine bekannt sein dürfen:

https://twitter.com/TadeuszGiczan/status/1305158041168482307;

und hören gerne muntermachende Musik: https://twitter.com/TadeuszGiczan/status/1305234747896061955

Man achte auf die Wotwahl: „far right“, keine „Patrioten“ oder Ähnliches.