François Martin und Jean Barrot (=François Cerruti, Gilles Dauvé): Eclipse and Re-Emergence of the Communist Movement, zuerst 1974; hier nach PM Press 2015
http://libcom.org/files/Dauvé with Martin – Eclipse and Re-emergence.pdf
Les Amis de 4 Millions de Jeunes Travailleurs (=Dominique Blanc, Jean-Pierre Tillenon): A World Without Money: Communism, nach der Fassung
https://libcom.org/files/Les Amis de 4 Millions de Jeunes Travailleurs- A World Without Money; Communism.pdf
Redaktion Endnotes, Bring Out Your Dead, Hefteinleitung zu Ausgabe No. 1, 2008; dt. auch unter https://kommunisierung.net/Bringt-eure-Toten-raus
Im Nachgang zur Besprechung über Fragen der gesellschaftlichen Produktion.
Alle Zitate in eigner Übersetzung.
Von Jörg Finkenberger
Wir haben bisher Fragen der gesellschaftlichen Planung von Produktion und Verteilung untersucht, indem wir einige neuere Vorschläge verglichen haben mit den älteren Vorstellungen der rätekommunistischen Gruppe Internationaler Kommunisten von 1930. Diese Vorstellungen stammen aus den Erfahrungen der deutschen und russischen Revolutionen von 1917 ff. und aus der Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Sozialismus. An dem Grundgedanken der Rätekommunisten ist allerdings in den Kreisen der heutigen sog. Ultra-Linken eine sehr harsche Kritik verbreitet, die wir nicht einfach übergehen wollen. Sie ist eng verbunden mit dem Begriff der Kommunisierung, Communization; ein Begriff, oder besser eine Vorstellung von Revolution und Kommunismus, der auf das Jahr 1969 zurückgeht, und der neuerdings, vor allem seit 2010 in unseren Kreisen völlig vorherrschend zu sein scheint.
1.
Sehen wir die älteste Formulierung dieser Idee in ihrem Zusammenhang an. Cerruti und Dauvé gehen von einem sehr praktischen Problem aus: die Bewegung von 1968 war nicht zu einer Revolution geworden, weder der Generalstreik in Frankreich, noch die 10 Jahre lang sich hinziehende Bewegung der Fabrikbesetzungen in Italien.
Aber noch viel mehr, die gesamte sehr massive Bewegung hatte in der Arbeiterschaft noch nicht einmal dauerhafte Organe hervorgebracht. Die ältere Ultra-Linke, allen voran die Situationistische Internationale, hatte genau das zum Eichmass einer wirklich revolutionären Bewegung erhoben. „Aber in jedem Fall verschwanden diese Arbeiterorganisationen wieder mit dem Ende der Bewegung und wurden nicht zu einer neuen Art der Organisation“, Cerruti u. Dauvé S. 67. Warum? War, wie es immer so schön heisst, die Bewegung einfach nicht radikal genug, wieder einmal? Ging sie nicht weit genug? Es ehrt natürlich C. u. D., dass sie einen grossen Bogen um solche faulen Phrasen machen. Die Bewegung ging so weit sie konnte; das heisst man kann an ihren Grenzen den Stand der Dinge ablesen.(1)
In früheren Bewegungen hatten die Arbeiter gesetzlichen Arbeitstag, Vereinigungsrecht, Krankenversicherung zu erkämpfen, das heisst ihre grundsätzliche Anerkennung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Was für einen Inhalt hatten denn, nachdem das erreicht war, ihre Kämpfe in den 1960ern? „Wie müssen hinzufügen, dass die Bewegung keine bestimmten Forderungen aufgestellt hatte. Die Frage, die das Proletariat stellen wird, ist in diesem Schweigen schon enthalten…In einer Situation, die es nicht mehr erlaubt, Forderungen durchzusetzen, ist es zu erwarten, dass keine Organe entstehen, um den Streik zu beenden“, C. u. D. S. 79
C. u. D. kommen deswegen zu dem Schluss: „Wenn diese Gruppen“, die neuen Arbeiterorganisationen, „ihre Existenz aufrechterhalten wollen, müssen sie ausserhalb der Schranken der Fabrik handeln, oder sie werden vom Kapital zerstört. Das Verschwinden diese Gruppen ist ein Zeichen der Radikalität der Bewegung; wenn sie als Organisationen weiterbestünden, würden sie ihren radikalen Charakter verlieren“, S. 79.
Diese Folgerung erscheint etwas angestrengt: sie läuft drauf hinaus, aus dem Scheitern einer Bewegung auf ihre Radikalität und ihre weittragende Bedeutung zu schliessen. Ist das gerechtfertigt? Zwischen beidem vermittelt aber genau die Hauptidee des Texts, und der Grundgedanke, dem wir hier nachgehen. Der Gegenstand der Bewegung, sagen C. u. D., kann nicht diese oder jene Forderung, verkörpert in dieser oder jener Organisationsform sein, sondern schon der unmittelbare Übergang zum Kommunismus: welchen sie Kommunisierung nennen.
Der Streik war also nicht durch einen strategischen Waffenstillstand zu beenden und eine Konsolidierung seiner Organisationsform, durch den Ausbau der errungenen Macht, um danach zu einem neuen Anlauf fortzuschreiten; sondern die Aufgabe bestand unmittelbar darin, die gegebenen gesellschaftlichen Formen zu zerbrechen und unmittelbar kommunistische aufzubauen. „Kommunismus ist die Aneignung des Reichtums der Menschheit durch diese selbst, und das bedeutet eine vollständige Veränderung dieses Reichtums… Die Kommunisierung… wird Güter ohne Geld zirkulieren lassen, sie wird die Tore öffnen, die die Fabriken von ihrer Umgebund trennt“, C. u. D. S. 55 f.; in einer früheren Textfassung war diese Stelle noch viel direkter.
„Das erfordert die Zerstörung der Unternehmen als getrennter Einheiten und damit des Wertgesetzes; nicht, um den Profit zu vergesellschaften, sondern um Güter zwischen den industriellen Zentren ohne Vermittlung des Werts zu zirkulieren“, hiess es da.(2) Wir akzeptieren vollkommen, dass es nicht genügt, den Profit zu vergesellschaften; aber es geht doch alles etwas rasch zu.
2.
In welcher Weise nimmt denn die Gesellschaft von ihrem Reichtum Besitz? Denn ja offensichtlich nicht mehr dadurch, dass die Arbeiter von ihrem Betrieben Besitz nehmen, gerade darum geht es C. u. D. an dieser Stelle. Sie beginnen von dieser Stelle aus eine ausführliche Kritik der rätekommunistischen Ideen, wie sie vor allem die niederländische Gruppe Internationaler Kommunisten entwickelt hatte (wir berichteten).
„Der Haken an der Sache ist, Tauschwert ist die Menge gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit für die Herstellung eines bestimmten Produkts; ein rationelles Buchhaltungssystem in Arbeitszeit wäre äquivalent zur Herrschaft des Tauschwerts ohne Vermittlung des Gelds“, C. u. D. 95. Das ist ein seither in der „Ultra-Linken“ umlaufender Gedanke, zu welchem allerhand Wertformanalyse und Marx-Philologie aufgeboten wird, bei C. u. D. S. 111 ff.
Ich würde die These riskieren, dass der grösste Teil dieser Argumentation von dem marxologischen Missverständnis abhängt, dass „der Wert“ eigentlich dasselbe wie „die Arbeit“ sei; dass also, wer Arbeitszeit sagt, schon Tauschwert sagt. Die Menge der Arbeitszeit mag die Grösse des Tauschwerts bestimmen; aber damit ist nichts darüber gesagt, warum sie diese Form annimmt.(3)
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