0

Nawalny dies, Nawalny das

von seepferd

Noch vor ein paar Tagen hat es so ausgesehen, als würde Russland sich langsam aufrappeln und einen Aufstand gegen das langsam seinen letzten Reiz verlierende Regime Putin versuchen, und zwar so breit wie seit 2011/12 nicht mehr. Unmut wurde natürlich hier und da immer wieder in großen Städten bekundet: mal in St. Petersburg, mal in Jekaterinburg, mal in Moskau selbst wie vor etwa zwei Jahren. Nun macht auch die Provinz, was bis dato nur Chabarowsk seit etwa einem halben Jahr im Alleingang, dafür aber sehr konsequent gemacht hat: nämlich massenhaft auf die Straße gehen und nach Veränderungen verlangen.

FreundInnen wie GegnerInnen der Veränderungen gleichermaßen stellt sich die Sache so dar, als wäre sie allein von Alexej Nawalny und seinen Gefährten, die sich mit ihm gegen die zum Staatsprinzip gewordenen Korruption verschwören, ausgelöst und angeführt. Nawalny wagt es nicht nur, Putin herauszufordern, er scheint es auch  tatsächlich zu können. Man mag ihn und seine Sache für gut oder schlecht befinden, eins kann man ihm nicht nehmen: viele Tausende Menschen sind bei Minustemperaturen auf die Straße gegangen, um Gerechtigkeit für ihn – und sich selbst gleich mit – einzufordern. Man zeige nicht auf die Generation, die die „wilden“ 90er nicht erlebt hat, sprich – die letzten 20 Jahre im Reich der Putinschen „Stabilität“ gelebt hat. Für diese „Stabilität“ kann sie, rein logisch betrachtet, auch nicht dankbar sein. Es sind auch ältere dabei, die auch wesentlich schlimmere Zeiten gesehen haben und auf die Kreml-PropagandistInnen in erster Linie mit solchen Vergleichen zielen. Der Pharao ist verärgert und lässt seine Priester Lügen verbreiten und seine Untertanen seinen Zorn spüren.

Seine politische Karriere hat Alexej Nawalny eigentlich in der altehrwürdigen liberalen Partei „Jabloko“ angefangen. Aus dieser hat man ihn 2007 wegen „nationalistischer Umtriebe, die das Ansehen der Partei schädigen“, rausgeschmissen. 2007 hat er sich allerdings auch mit Neonazis angelegt und Maxim „Tesak“ Marzinkewitsch, der später zum medialen Gesicht der russischen Neonazis wird, zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verholfen. D.h. auch nach seinem Rauswurf aus „Jabloko“, als er angefangen hat im damals noch sehr lebendigen nationalistischen Lager zu fischen und selbst als er zwischen 2011 und 2013 im Organisationskomitte des „Russischen Marsch“ – der bekanntesten Fascho-Veranstaltung in Russland – war, haben umtriebige JunghitleristInnen ihm gegenüber nur Misstrauen entgegengebracht. Er ließ auch keine Gelegenheit aus, die Nazis zu trollen. Die Zuneigung war wohl gegenseitig, entspricht im Übrigen der Teilung, die im „Russischen Marsch“ immer noch zwischen den Nationalisten, die halbwegs respektabel sein und in die große Politik einziehen wollen, und den „autonom-revolutionären“ NS-Kräften existiert. Etwa 2013 sagt er seine Teilnahme bzw. sein Mitwirken am „Marsch“ ab, weil es mit dem respektablen Politiker-Image langsam nicht mehr vereinbar wurde und daher für  kremltreue Medien ein gefundenes Fressen geworden wäre. Ob er von seinem „gemäßigten“ Nationalismus und xenophoben Äußerungen Abstand genommen hat oder nicht, lässt sich nur schwer sagen. Dafür ist sein populistisches Antikorruptions-Programm zu vage. Vermutlich einiges (Arbeitsmigration aus Zentralasien z.B. oder die sog. Islam-Kritik, die keine Kritik ist, sondern nur chauvinistischer Bullshit) wird einfach unter den Teppich gekehrt, in anderen Fragen vertritt er offensichtlich viel vernünftigere Positionen (in der leidigen „ukrainischen Frage“ pocht er auf das Einhalten des Minsk-Abkommen und ein „ehrliches“ Krim-Referendum) als der Rest des nationalistischen Lagers und der Kreml. Soviel zum „Nawalny ist nur ein Pendant Putins“. 

Weiterlesen