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Ein schwieriges Verhältnis: Thomas von der Osten-Sacken, Bahamas und die Revolution

von Seepferd

 

Nach dem langen Überlegen, ob es sich denn überhaupt lohnt, darauf einzugehen; ob es überhaupt Sinn macht, solche Sachen noch zu erklären. Es schadet nicht dem besagten Nahost-Experten nicht mehr als der Antizionismus-Vorwurf letztens, der aus der bekannten Ecke kam. Das Hündchenrudel, der den Experten daraufhin angefallen hat, soll sich künftig vorsehen. Es kann ihm jede Zeit genauso ergehen, denn die „Ideologiekritiker“ (und  „-kritikerInnen“, wenn Paulette Gensler schon darauf besteht) verhalten sich nicht anders als der von ihnen kritisierte Zusammenschluss von Einzigen bei Max Stirner, als die Formierung des Kritikers zur Bande, als ein Raket nämlich. Und dieses wird jeden (und jede, wenn Paulette Gensler schon darauf besteht), der/die gestern noch dabei war, unter die Räder werfen, wenn es die heutige Geschäftslage erfordert.

Wir aber wollen nicht von der Osten-Sacken an die Pelle rücken, sondern der „Szene“ und ihrer Presse. Denn die „Rufschädigung“ habe er „ganz selbstständig in eigener Sache betrieben“, wie man so schreibt. In der Tat. Es ist vor ein paar Tagen ein interessanter Text auf mena-watch.com und auf dem Blog der jungle world erschienen – wie soll man es überhaupt bezeichnen? – über „das Ende der Revolution“ im Iran.

In einem aber liegt die Daily Mail ganz falsch, wenn sie ihren Artikel so betitelt: ‚Revolution is coming‘. Nein, was immer im Iran geschehen mag, eine Revolution wird es nicht sein, wenn Menschen für ‚ „Meinungsfreiheit und Frauenrechte“ auf die Straße gehen. Vielmehr handelt es sich darum, eine Revolution, die islamische von 1979, zu beenden, wie Amir Taheri schon im Jahre 2009 richtig bemerkte. Und nichts bräuchte der Iran dringender als ein Ende dieser Revolution mit all ihren fatalen Folgen.

Davon abgesehen, dass der besagte Experte die Klassenzusammensetzung bei den Geschehenissen von 1979 und 2009 komplett ignoriert; die Frage umgeht, ob eine bürgerlich-demokratische Revolution ohne das, was man früher als das Proletariat bezeichnet hat, jemals funktionieren und erfolgreich werden konnte; ob das, was sich im Iran anbahnt, im bürgerlich-demokratischen Rahmen verbleiben und seine Erfüllung finden kann. Er kauft nämlich der klerikal-faschistischen Gegenrevolution ihre Selbstbezeichnung als Revolution (wenn auch nur „islamische“) ohne Widerrede ab.

Diese „Meinungsfreiheit und Frauenrechte“, sind kein Normalzustand, keine Einrichtung der Welt, die man per default hat und die erst durch Revolutionen und andere Katastrophen gestört wird. Sie sind selbst revolutionären Ursprungs, eine Störung des bisherigen Weltlaufs. Dass es nicht einer Revolutionierung aller Verhältnisse in der iranischen (und nicht nur; ist es vielleicht wieder Zeit sich mit Trotzkis Konzeption der permanenten Revolution zu beschäftigen, hm?) Gesellschaft, sondern einer Beendigung jeglicher umstürzlerischen Tätigkeiten bedarf, mag die Position von der Osten-Sackens sein. Ähnliche Aversionen gegen revolutionäre Umwälzungen wurden allerdings auch auf der Bahamas-Konferenz Dezember 2017 in Halle verlautbart.

Was man aber von der Osten-Sacken zugutehalten kann, ist, dass er mit unnötigen Horkheimerzitaten nicht um sich wirft. Weder mit dem von einem wahren Konservativen, der eher einem wahren Revolutionären verwandt ist (findet man sinngemäß auch bei Paul Goodman btw), noch mit dem vom Kommunismus, an dem man umso fester hält, je unrealistischer dieser wird. Mit diesem „Kommunismus“ gehen mittlerweile Leute hausieren, die sich jeglicher kommunistischen Sache längst versagt haben, wenn sie ihre noch trotteligere Generika von Hate Speech Antifa maßregeln. So ein „Kommunismus“ lässt sich bequem in der Ecke abstellen, muss nicht gefüttert werden und verlangt nicht nach seiner Verwirklichung, weil er abstrakt ist, weil dem Zitatenkasten entnommen ist.

Und nun die Gewinnfrage, warum – von der Vorliebe für Horkheimerzitaten abgesehen – vertragen sich Bahamiten mit von der Osten-Sacken nicht? Ist die Frage Ihnen „existenziell“ genug? Schreiben Sie uns und gewinnen Sie tolle Preise!

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Nachtrag zur Restvernunft

Folgendes berichtet die Lügenpresse bzw. Reuters aus einem Interview mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten:

Trump asserted that he retained the power to intervene in the probe, but that he had chosen not to do so for the moment.

“I can go in, and I could do whatever — I could run it if I want. But I decided to stay out,” he said. “I’m totally allowed to be involved if I wanted to be. So far, I haven’t chosen to be involved. I’ll stay out.”

Trump meint also, und Alan Dershowitz wird ihm vielleicht zustimmen: der Präsident ist die oberste Bundesbehörde der USA (und eigentlich die einzige, unitary executive), und damit auch supreme law enforcement official; er könnte also, wenn er wollte, eine Strafsache gegen ihn und sein Umfeld direkt an sich ziehen und die Ermittlungen selbst führen so, wie er es für richtig hält. Und zwar statt der „with hunt“ gegen ihn, die „so bad for America“ ist, eine gegen seine Gegner veranstalten, wie er es immer wieder fordert.

Carl Schmitt hätte sowas plenitpotestas immediater in omnibus genannt, unmittelbare Vollgewalt in allen Angelegenheiten; allerdings erst nach 1945. Vorher hatte er eine etwas eigene deutsche Übersetzung dafür.

Die gute Nachricht ist: es stimmt natürlich nicht. Trump könnte das nicht. Er ist als oberste Bundesbehörde nicht nur an die Verfassung gebunden, sondern auch an die Gesetze. Und er kann nicht selbst in die Rechte der Strafverfolgung eintreten in eigener Sache. Die schlechte Nachtricht ist: er scheint es nicht zu glauben. Die zweite schlechte Nachricht: er kann einen Strohmann einsetzen, der es für ihn macht. Die beiden schlechten Nachrichten weisen zwei unterschiedliche mögliche Wege zum Faschismus.

Es wird wohl ein interessanter Herbst, wie es aussieht. Die Trottel, denen für Trump und seine Leute in vollem Ernst das Wort „Restvernunft“ eingefallen ist, weil die USA ja früher gegen Hitler gekämpft haben, tun recht daran, in solchen Zeiten an Gewissheiten festzuhalten. Solche Gewissheiten bieten Halt und Zuversicht, und seien sie noch so falsch; und ich weiss, sie lesen alle heimlich Nietzsche:

Die Krähen schrei’n
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnei’n –
Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat!

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Über ein verbreitetes Missverständnis der israelsolidarischen Linken

Unter proisraelischen Linken hat sich die Formel eingebürgert, man sei generell gegen Staaten, aber Israel sei der Staat, der „als letztes abgeschafft“ werden soll; einstweilen sei er noch notwendig, um die von Antisemitismus bedrohten Juden zu schützen. In allen Ländern sollen Anarchisten also gegen ihre jeweilige Herrschaft agitieren, nur ihre israelischen Genossen müssten sich Zurückhaltung auferlegen und abwarten, bis im Rest der Welt Ausbeutung und Unterdrückung ein Ende haben.

Martin Stobbe hat diese Haltung in der neuen Ausgabe der linken Zeitschrift Bahamas als widersprüchlich kritisiert: Die Israelsolidarität sei diesen Leuten im Grunde äußerlich, lediglich eine „eher befremdlich erscheinende Zutat“ ihres Programms, dem es „blindwütig und unreflektiert immer um die sofortige Abschaffung aller Nationen“ gehe. Stobbe legt den linken Freunden Israels nahe, generell auf ihre Kritik des Nationalstaats zu verzichten, da nur mit einer staatsbejahenden Haltung eine konsistente Israelsolidarität möglich sei.

Stobbe trifft hier einen wunden Punkt. Auch wenn man seine Schlussfolgerungen nicht teilt, muss man doch zugestehen, dass die Vorstellung von Israel als dem „zuletzt abzuschaffenden Staat“ tatsächlich sehr ungereimt ist.

Zunächst leuchtet nicht ein, warum gerade Israel in Sachen Revolution hintan stehen soll. Es ist ein modernes Land mit hoch entwickelter Industrie, einer relativ gebildeten Bevölkerung und einer reichen Tradition sozialer Kämpfe. Wenn also die revolutionäre Bewegung weltweit endlich den ersehnten Aufschwung nimmt, so kann ich mir gut vorstellen, dass Israel eines der ersten Länder sein wird, die mit von der Partie sind. Jedenfalls scheinen mir die Voraussetzungen für eine erfolgreiche anarchistisch-kommunistische Umwälzung dort viel eher gegeben als beispielsweise im Gazastreifen oder auch in den nordsyrischen Kurdengebieten, die zur Zeit von vielen revolutionsromantisch verklärt werden.

Bleibt die Gefahr antisemitischer Verfolgung und der Schutz, den der jüdische Staat hier bieten soll. Diese Bedrohung ist tatsächlich sehr real. Und wenn wir einmal annehmen, dass sich in Israel eine soziale Revolution ereignen sollte, so wird dies wahrscheinlich den Hass der Antisemiten und aller Reaktionäre sogar noch verstärken. Wenn die Israelis wirklich Ernst machten mit der Abschaffung des Privateigentums, der Familie und des Staates, so würden die Antisemiten ihre Vorurteile vom zersetzenden Charakter des Judentums bestätigt sehen. Die Juden hätten also allen Grund, um ihre Sicherheit zu fürchten.

Der grundlegende Denkfehler der linken Israelfreunde scheint mir aber, dass sie glauben, Menschen bräuchten unbedingt einen Staat, um sich zu verteidigen. Das ist nicht der Fall. Wenn dereinst tatsächlich Arbeiterräte die Macht in Tel Aviv und Jerusalem übernehmen würden, so hieße das nicht, dass die Menschen alle Waffen wegwerfen und ihre beim Militärdienst erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten vergessen. Ich denke, die Israelis könnten sich ihrer Feinde noch immer ganz gut erwehren, wenn sie die straff hierarchischen Israel Defence Forces in eine selbstorganisierte Volksmiliz nach dem Vorbild der anarchistischen Milizen im spanischen Bürgerkrieg umwandeln würden (mit moderner Bewaffnung, versteht sich!).

Apropos spanischer Bürgerkrieg: Damals waren es die Stalinisten, die sagten: „Wir brauchen jetzt noch den Staat und die Hierarchie – die soziale Revolution muss warten, bis wir den Faschismus besiegt haben.“ Mit Hilfe der Sowjetunion setzten sie ihre Vorstellungen gegen die Anarchisten durch. Genützt hat das freilich nichts, die Faschisten gewannen trotzdem. Und glaubt man George Orwells Ausführungen in Mein Katalonien, so hat das revolutionäre Spanien nicht trotz, sondern wegen der Wiederherstellung der Hierarchie in den Armee und der Gesellschaft verloren. Nicht nur wussten die Leute auf der republikanischen Seite immer weniger, wofür sie eigentlich kämpfen, da sie ihre gewonnenen Freiheiten Stück für Stück wieder abgeben mussten – vor allem aber verloren sie die Möglichkeiten einer revolutionären Vorwärtsverteidigung durch die Propagierung ihrer Ideen unter den Bauern und Arbeitern im faschistischen Hinterland und in Spanisch-Marokko, dem Hauptstützpunkt von Francos Truppen. Die Revolution ist ein Krieg, der nicht primär auf dem militärischen, sondern auf dem sozialen Terrain entschieden wird.

Auch ein revolutionäres Israel könnte – anders als das heutige kapitalistische – den unterdrückten Massen in den Palästinensergebieten, in den arabischen Ländern und im Iran ein echtes Verbrüderungsangebot machen: „Wenn ihr eure Waffen nicht mehr gegen uns, sondern gegen eure wirklichen Bedränger richtet, werden wir euch helfen, eure eigenen Herren zum Teufel zu jagen – auf das die schwarz-roten Fahnen auch über Damaskus, Riad und Teheran wehen.“

Zugegeben: Das sind alles nur Gedankenspiele, ohne Halt in der Realität. Arbeiterräte scheinen heute weder in Tel Aviv noch irgendwo sonst auf der Tagesordnung. Aber solche Gedankenspiele muss man von Zeit zu Zeit machen, damit man sich etwas klarer wird über die eigenen Ziele und möglichen Wege dahin. Dass die linken Freunde Israels überhaupt auf eine solche Formel wie die vom „zuletzt abzuschaffenden Staat“ kommen konnten, zeigt meines Erachtens, dass sie über die Überwindung der Herrschaft bisher nur in sehr abstrakten und oberflächlichen Begriffen nachgedacht haben. Entgegen der Meinung Martin Stobbes scheint es mir eher so, dass die Idee von der Abschaffung des Staates nur eine „eher befremdlich erscheinende Zutat“ im ansonsten recht konventionellen Denken der linken Freunde Israels ist. Der Bahamas-Autor kann also beruhigt sein: Von diesem Milieu geht mit Sicherheit keine Gefahr für den Staat aus.

Alfred Masur